2012 - Folge 3 - Tödliches Vermächtnis
Carcía-Carrión schwieg sich das Netz weitestgehend aus. Möglicherweise, schloss Tom, war die Spurenlage in Córdoba also erfolgversprechend. Die Überwachungsanlage … Wahrscheinlich gibt es Aufzeichnungen. Er konnte das nicht ändern, konnte vorerst nur abwarten. Wie hätte er auch vorhersehen sollen, was geschehen würde?
Erneut bemühte er die Suchmaschinen mit unzähligen Kombinationen in Sachen Víctor, doch er schaffte es nicht, auch nur eine brauchbare Eingrenzung zu finden.
Mitternacht war längst vorüber, als er frustriert, aber keineswegs entmutigt abschaltete.
Irgendwann in der Nacht wurde Tom von einer Polizeisirene aufgeschreckt. Er war sofort hellwach. Lärm von der Straße drang durch das geschlossene Fenster. Allerdings hatte es nur eine Schlägerei gegeben. Tom stand zwei Schritte vom Fenster entfernt und schaute auf die regennasse Straße hinaus. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis wieder Ruhe einkehrte.
Der neue Tag begann nicht anders, als der alte geendet hatte. Keine neuen Erkenntnisse über die Explosionen im Netz.
Tom Ericson frühstückte spartanisch, während er ernsthaft darüber nachdachte, sich den Behörden zu stellen und alles zu erklären. Aber würde man ihm glauben – und wichtiger noch: Würde er den Mordverdacht stichhaltig entkräften können?
Er hatte zweifellos schlechte Karten. Ein paar Fotos als Beweis, dass er einem geheimnisvollen Artefakt auf der Spur war? Was sagten die Bilder der Stele schon aus, und was die von der Grabung bei Uxmal?
Und Zeugenaussagen? Wen hatte er aufzubieten? Béjar Gaitan, einen geistig Verwirrten, und Cenobio Cordova, einen toten Kriminellen. Na, super!
Außerdem mahlten die Mühlen des Gesetzes langsam. Tom konnte es sich nicht erlauben, wochenlang oder womöglich gar für einige Monate in Spanien festzusitzen, bis nach und nach Mosaiksteinchen zusammengetragen wurden, die – vielleicht – seine Aussagen bestätigten.
Dann würde es zu spät sein, die Spur des Artefakts wieder aufzunehmen. Tom war überzeugt davon, dass seine Gegner über kurz oder lang selbst fündig werden würden.
Er trat wieder ans Fenster, beobachtete die Straße. Nichts, was ihm aufgefallen wäre. Der Morgen zeigte sich trist grau in grau.
Seine Gedanken konzentrierten sich wieder auf die Recherche. Mit einer einfachen Suchmaschine kam er nicht weiter, und Pierres Informationen hatten bislang auch nichts gebracht. Er musste auf der Behördenleiter noch ein paar Sprossen nach oben klettern. Wer kam an Personendaten heran, die dem Normalbürger nicht zugänglich waren?
Gudrun Heber fiel ihm ein, seine alte Partnerin bei A.I.M. Wie oft war er mit der Anthropologin rund um die Welt gereist? Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie mit ihrem jetzigen Verwaltungsjob für die Europäische Union wirklich zufrieden war.
Sie hat meine Heirat mit Abby nicht verwunden.
Er wusste, dass das so nicht stimmte. Aber es war eben eine angenehmere Wahrheit, die nicht weh tat. Gudrun war stets zielstrebig und auch dickköpfig gewesen, eben eine typisch Deutsche. Oder zumindest das, was er als typisch sehen wollte.
Wie sie zu erreichen war? Er wusste es nicht. Lange hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet; viel zu lange.
Von Pierre wusste er, dass Gudrun sich häufig in Brüssel aufhielt. Tom wühlte sich im Internet durch die Hierarchie der EU, ging die Kontaktdaten der einzelnen Behörden durch, auf der Suche nach ihrem Namen. Obwohl es ihn einige Überwindung kosten würde, Gudrun um Hilfe zu bitten, musste er sie anrufen. Wenn ihm jetzt noch jemand helfen konnte, dann sie.
Dann fand er eine Erfolg versprechende Telefonnummer, wurde mehrmals weitergeschaltet und erfuhr schließlich, dass Gudrun Heber derzeit in Griechenland unterwegs sein müsse. Ressortüberschreitend, in Begleitung mehrerer Regierungschefs.
»Wo genau?«
Zwei Minuten nach seiner Frage erwies sich die erste Auskunft als Fehlinformation. Gudrun hielt sich in Brüssel auf.
Eine Viertelstunde später erreichte er die Anthropologin.
»Señor Edison, womit kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Das war ihre Stimme. Tom stutzte wegen der Anrede. Offenbar zögerte er eine Sekunde zu lange.
»Hallo? Sind Sie noch dran?«
»Gudrun, ich bin’s!«
»Bitte?« Sie stutzte, das war deutlich. »Wer ist ›ich‹?«
»Ericson – nicht Edison!«
Einen Moment war Stille. Dann ein tiefer Atemzug. »Tom?«
»Genau der.«
»Man sagte mir, ein Spanier …«
»Ich bin in Spanien.«
»Wir haben lange nichts
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