2012 - Folge 3 - Tödliches Vermächtnis
mochte vor längerer Zeit ein Übergang zu einem Nebengebäude gewesen sein. Die roh zugemauerte Wand ließ keinen anderen Schluss zu. Ein Milchglasfenster war geblieben, das allein für die Beleuchtung des Treppenhauses sorgte. Der Sims lag in Hüfthöhe. Tom öffnete den Flügel. Das Fenster führte tatsächlich in einen Hinterhof mit einer Zufahrt zur Parallelstraße. Mehrere Fahrzeuge standen hier, Kisten und Dutzende Müllsäcke.
Ohne zu zögern, stemmte sich Tom in die Höhe, kam auf dem Fensterrahmen zu sitzen und schwang die Beine nach draußen. Der Boden lag fast drei Meter unter ihm. Aber da waren Kartonagen, wahllos auf einen Haufen geworfen. Er griff nach dem offenen Fensterflügel, zog ihn mit Schwung auf sich zu und ließ sich fallen. Die Kartons fingen ihn besser auf als erwartet. Oben schnappte das Fenster wieder zu.
Augenblicke später stand Tom in der Deckung eines älteren Toyota-Pritschenwagens und sah sich um. Niemand kam, um nachzusehen, was der Lärm zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich war es drinnen nicht einmal bemerkt worden. Lautes Lachen erklang.
Tom lief weiter. Er atmete auf, als er unbemerkt die Rückfront der alten Häuser erreichte, die schon zur Parallelstraße gehörten. Ein reich verzierter Torbogen im nachgeahmten maurischen Stil überspannte die geteerte Zufahrt. Immer noch war Tom höchst vorsichtig, aber schließlich stand er auf dem Gehweg, ohne dem Weißgekleideten oder einem seiner Helfer in die Arme gelaufen zu sein. War es möglich, dass er doch fantasiert hatte?
Im Laufschritt hastete er weiter. Dabei hatte er die Augen überall. Es hätte ihm auffallen müssen, wenn jemand versuchte, mit ihm Schritt zu halten.
Zweimal bog er abrupt in eine Seitenstraße ab, blieb schon nach wenigen Metern stehen und wartete. Aber niemand kam hinter ihm her. Er fragte sich, ob das die ersten Anzeichen eines beginnenden Verfolgungswahns waren, ausgelöst durch den Tod der drei Kunstsammler.
Tom nahm ein Taxi. Während der Fahrt änderte er mehrmals seine Zielangabe. Als er nach zwanzig Minuten ausstieg, verriet ihm der Blick des Fahrers deutlich, was dieser über seinen verrückten Fahrgast dachte. Egal. Tom hatte im nachfolgenden Verkehr jedenfalls kein Fahrzeug bemerkt, das die ganze Zeit über hinter ihm geblieben wäre.
Eine halbe Stunde später saß er in einem Zug zurück nach Córdoba. Eigentlich hätte es jeder beliebige Ort sein können.
Wie oft war es vorgekommen, dass er nicht gewusst hatte, was er als Nächstes tun würde? Der Archäologe hasste einen solchen Zustand wie die Pest. Sich treiben zu lassen, das mochte die Welt der Hobos in der endlosen Prärieweite sein. Sein Leben lief in anderen Bahnen. Abzuspringen, einfach nur, weil der Zug langsamer wurde, das behagte ihm nicht.
Und nun saß er auf einer Parkbank in Córdoba und haderte mit sich selbst. Er war nahe daran, Gudrun anzurufen. Die Reisetasche stand neben ihm, beide Tragetaschen hatte er darin verstaut. Passanten warfen ihm missbilligende Blicke zu. Sie mochten ihn für einen Landstreicher halten; einen besseren Eindruck machte er in seinem Aufzug ohnehin nicht. Und die noble Ledertasche passte nicht zu ihm. Ebenso wenig wie das Satellitentelefon, das er abschätzend in der Hand wog. Er wollte nicht auffallen, doch wenn er die Leute beobachtete, die ihn verstohlen musterten, war das Gegenteil der Fall.
Das war eine Rolle, in der er sich keineswegs wohlfühlte.
Mehr als vierundzwanzig Stunden lag sein Gespräch mit Gudrun nun schon zurück. War es wirklich eine solche Mammutaufgabe, einen einzigen Anschluss ausfindig zu machen? Er wusste, dass er mit diesen Überlegungen ungerecht war, aber das stand ihm wenigstens einmal zu.
Eine Stunde gebe ich dir noch, dachte er verbissen. Eine …
Das Klingelzeichen erschreckte ihn beinahe. Sekundenlang starrte er auf das Display, das eine ellenlange Nummer anzeigte. Belgien – natürlich!
»Wo steckst du?«, fragte Gudrun Heber als Begrüßung.
»In Sicherheit«, rutschte es Tom heraus.
»Bitte?«
»Schon gut«, sagte er abwehrend.
»Nichts ist gut«, beharrte sie. »Was ist los?«
So kannte er die Anthropologin. Für einen Moment dachte Tom Ericson zurück an ihre gemeinsame Zeit. Sie waren ein gutes Team gewesen.
»Ich denke, ich habe ein paar Kletten am Hals«, antwortete er leichthin. Das war jedenfalls nichts, worüber Gudrun sich den Kopf zerbrechen musste.
»Die Leute, die Carcía-Carrión und die anderen auf dem Gewissen
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