2012 - Folge 9 - Die Weltuntergangsmaschine
gerade mal vierzig Teilen erwartet hatte. Aber sie waren so eigenartig geformt und manche sahen einander dann doch so ähnlich, dass er immer wieder ins Stocken geraten war und herumprobieren musste.
Er hoffte nur, dass Maria Luisa und Tom nicht jetzt schon aus der Kirche zurückkamen. Er wollte das Rätselding vorher fertig haben, er wollte sie doch überraschen. Tom würde staunen, sich freuen und etwas Nettes sagen. Auch wenn er ihm eigentlich verboten hatte, den Koffer zu öffnen. Aber es war ja nichts passiert. Was sollte denn auch passieren? Es war doch nur ein Puzzle, wie Jandro sie in seinem Leben schon zu Hunderten zusammengesetzt hatte.
Aber etwas Besonderes war dieses Puzzle schon. Es war schön, zum einen, aber da war noch etwas anderes. Irgendetwas, das mit jedem Teil, das Jandro einsetzte, stärker wurde und mächtiger.
Im gleichen Maße fast, wie das Dunkelfeld schwächer wurde, sich zusammenzuziehen schien.
Eigentlich hätte es ja die ganze Kugel erfassen, einhüllen und unsichtbar machen müssen. So wie eine Hand, die den Himmelsstein hielt. Aber das war nicht der Fall.
Sobald die Teile, die den Stein einschlossen, miteinander im Verbund waren, schienen sie die Schwärze in sich aufzusaugen. Trotzdem war das Artefakt selbst noch immer nicht zu erkennen; der kleine Teil davon, der inmitten der fast fertigen Kugel noch zu sehen war, blieb in das geschrumpfte Dunkelfeld gehüllt. Alejandro konnte zwar sehen, dass es sich auflöste in dem Moment, da er das Teil einsetzte, das die letzte noch freiliegende Stelle des Steins zudeckte. Aber das geschah gleichzeitig, sodass sich nicht einmal ein ganz kurzer Blick auf das Objekt erhaschen ließ.
Sechs Teile lagen vor Jandro noch auf dem Tisch. Er fügte das nächste in die Konstruktion ein, musste es einmal drehen, dann passte es und rastete ein, nicht hör-, nur spürbar.
Noch fünf. Jandro musterte eines der Teile, drehte es kurz in den Händen, legte es weg, griff sich ein anderes und setzte es ein. Fast wie von selbst fügte es sich an seinen Platz.
Vier.
Drei.
Zwei.
Das letzte Teil. Ein annähernd rundes, am Rand mehrfach gezahntes Stück aus Gold, das beinahe wie eine umgedrehte Krone ganz oben auf die Kugelform gehörte.
Mit einem glücklichen Lächeln und spitzen Fingern ließ Jandro das Teil fast feierlich in die letzte Aussparung gleiten.
Und das fertige Ding erwachte zum Leben.
Als Tom die Basilika verließ, fühlte er sich, als triebe er in der sanften Dünung eines Meeres, dessen Wasser ihn ewig tragen konnte. Er empfand einen so tiefen inneren Frieden, dass er in diesem Augenblick, auf der Treppe vor der Peterskirche und unter dem sternengesprenkelten Nachthimmel über Rom, schlicht und ergreifend nicht glauben konnte, was hinter ihm lag, in welcher Misere er immer noch steckte und was seiner noch harren mochte.
Hinter ihnen drang Orgelmusik machtvoll in die Nacht heraus, und auch sie schien die Menschen zu tragen. Es waren Tausende, und trotzdem fühlte Tom sich so allein wie selten zuvor, aber auf eine ebenfalls kaum gekannte angenehme Art.
»Das ist mein schönstes Weihnachten«, sagte Maria Luisa neben ihm. Ihre Stimme war nur ein Hauch, und er sah der schönen Spanierin an, dass sie das Gleiche verspürte wie er, nur sicher auf ihre individuelle Weise. So wie die meisten der Menschen um sie herum erfüllt sein mochten von ihrer ganz persönlichen Version dieser Weihnachtsstimmung, die von der Messe im Petersdom zwar ausgelöst worden sein mochte, die jedoch weit über alles Religiöse hinausging.
Von Herzen gern hätte Tom jetzt Maria Luisas Hand ergriffen, sie an sich gezogen, ihre weichen Lippen geküsst – aber er verkniff es sich. Damit hätten sie Aufsehen erregt: ein Mönch und eine Nonne eng umschlungen vor San Pietro.
»Komm, lass uns ins Kloster gehen.« Er stieß sie sanft an. Und hoffte, dass Jandro noch schlief.
Sie machten sich auf den Weg durch die vatikanischen Gärten. Kurz überlegte Tom, ob sie bei Don Phantasos anklopfen und ihm eine gute Nacht wünschen sollten. Er hatte sich gerade wegen der schon späten Stunde dagegen entschieden, da trat ihnen der hünenhafte Padre aus der Nacht entgegen, in Begleitung eines uniformierten Schweizergardisten und in der Hand eine bauchige, abgewetzte Tasche, die an die eines alten Landarztes erinnerte.
Tom kannte die Tasche und wusste, wohin der päpstliche Exorzist unterwegs war – zu einem Einsatz.
»Gibt der Teufel nicht einmal an Weihnachten Ruhe?«,
Weitere Kostenlose Bücher