2012 - Schatten der Verdammnis
seien uns wahrhaft die Augen aufgegangen. Wir spürten einen zusammenhängenden Plan, obgleich wir frustriert waren, weil wir dessen verborgene Bedeutung nicht entschlüsseln konnten. Unsere humanoiden Lehrer hatten uns Anweisungen in den Kodizes der Maya hinterlassen, die der Botschaft auf dem Nazca-Plateau entsprachen, doch diese Kodizes waren von den spanischen Missionaren verbrannt worden, sodass die Botschaft von Nazca sich unserer Deutung entzog.
Maria und ich hatten Angst. Wir fühlten uns allein. Die düstere Prophezeiung des Maya-Kalenders hing wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.
Ich weiß noch, wie ich meine Frau umarmte und mich fühlte wie ein verwirrtes Kind, das vom Tod erfahren hat und sich bemüht, die Vorstellung zu begreifen, die seine Eltern vom Himmel haben. Bei diesem Gedanken wurde mir klar, dass unsere Spezies sich - vom Standpunkt der Evolution her gesehen - trotz aller Leistungen und Errungenschaften noch immer im Stadium der Kindheit befindet. Vielleicht neigen wir deshalb so sehr zu Gewalt, vielleicht bleiben wir deshalb so bedürftige, von Gefühlen abhängige Kreaturen, die sich beständig nach Liebe sehnen und sich immer allein fühlen. Wie dreißigtausend Jahre alte Kleinkinder wissen wir es einfach nicht besser. Die Erde ist ein Planet der Kinder, ein gewaltiges Waisenhaus ohne Erwachsene, die uns erklären könnten, wie das Universum funktioniert. Wir sind gezwungen, uns das selbst beizubringen und zahlen dabei teures Lehrgeld. So jung, so unerfahren und so naiv sind wir, als würden wir leben und sterben wie die roten Blutzellen, die mit rücksichtsloser Unbekümmertheit durch den menschlichen Körper kreisen. Während die Dinosaurier zweihundert Millionen Jahre über die Erde herrschten, sind unsere frühesten Ahnen erst vor weniger als zwei Millionen Jahren von den Bäumen herabgestiegen. Dennoch halten wir uns mit unglaublicher Ignoranz für etwas ganz Besonderes.
In Wahrheit aber sind wir nur eine Spezies von Kindern - neugierigen, unwissenden Kindern.
Die Nephilim, die >Gefallenen<, waren unsere Ahnen. Vor langer Zeit waren sie hier, vereinten sich mit weiblichen Angehörigen unserer Spezies und schenkten Homo sapiens ihre DNA. Sie brachten uns bei, was wir nach ihrer Einschätzung begreifen konnten, und hinterließen uns Nachgeborenen deutliche Hinweise für ihre Anwesenheit. Außerdem haben sie uns vor dem kommenden Unheil gewarnt,
doch wie die meisten Kinder hatten wir bislang kein Ohr dafür und haben uns geweigert, die Warnungen unserer Eltern zu beherzigen.
»Wir sind noch immer kleine Kinder«, sagte ich zu Maria. »Wir sind schwache, naive Kinder, die meinen, sie wüssten alles. Dabei schaukeln wir nur in unserer Wiege vor uns hin, während die Schlange durchs offene Fenster kriecht, um uns zu verschlingen.«
Maria stimmte mir zu, doch warnte sie zugleich: »Dir ist bestimmt bewusst, dass unsere Kollegen nichts als Hohn und Spott für uns übrig haben werden.«
»Dann dürfen wir es ihnen nicht sagen, zumindest noch nicht jetzt«, erwiderte ich. »Auch wenn die Prophezeiung in Stein gemeißelt ist, liegt unsere Zukunft in unseren eigenen Händen. Die Nephilim hätten sich nicht so viel Mühe gegeben, uns vor vier Ahau drei Kankin zu warnen, ohne uns eine Waffe zu hinterlassen, irgendeine Möglichkeit, wie wir uns vor der Vernichtung retten können. Die müssen wir finden, und dann - erst dann - wird die Welt uns ohne Vorbehalte anhören.«
Maria umarmte mich. »Aber hier werden wir die Antwort nicht finden, Julius. Du hattest Recht. Die Große Pyramide ist zwar ein Teil des Rätsels, doch der Tempel, der auf dem Nazca-Plateau abgebildet ist, steht in Mittelamerika.«
Auszug aus dem Tagebuch von Prof. Julius Gabriel
Vgl. Katalog 1975-77, Seite 12-72
Fotojournal Diskette 4, Datei: GISEH, Zeichnung 11
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1. Dezember 2012 Nullarbor Plain, Australien
5.08 Uhr Die Nullarbor Plain, die größte Ebene der Erde, ist eine Einöde aus Kalkstein, die sich über eine Fläche von zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometern an der südlichen Pazifikküste Australiens entlangzieht. Sie ist eine ungastliche Region, arm an Vegetation und Fauna.
Für Naturlieber wie den jungen Saxon Lennon und seine Freundin Renee ist die Nullarbor Plain der ideale Zufluchtsort. Keine Menschen, kein Lärm, keine brüllenden Projektleiter, nur das wohl tuende Rauschen der Brandung, die sich dreißig Meter unter dem Zeltplatz der beiden an den nackten Klippen bricht.
Der
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