2012 - Schatten der Verdammnis
die Leiche mit einer hakenbewehrten Stange heran. »Puh, dem hier fehlt ein Arm?«
»Haie?«
»Nee, der ist sauber abgetrennt. Hör mal, jetzt wo du davon redest - ich hab hier noch keinen einzigen Hai gesehen.«
»Ich auch nicht.«
»Unglaublich. Überall ist Blut, und die Gewässer hier sind doch sonst voller Haie.« Wishnov rollt die verstümmelte Leiche ins Boot und zieht rasch einen Sack darüber. »Das ist das Ding da drunten, oder? Das grüne Leuchten. Deshalb halten sich die Haie fern.«
Blackman nickt. »Die Viecher wissen was, was wir nicht wissen. Je eher uns der Käpt’n hier wegbringt, desto besser.«
Reglos steht Kapitän Edmund O. Loos auf der Brücke und blickt mit seinen braunen Augen auf den bedrohlichen Horizont. Wütend presst er die Zähne zusammen. Der dreizehnte Kapitän der Boone und ihrer Besatzung aus zweiundvierzig Offizieren und fünfhundertfünfzig Unteroffizieren und Mannschaften kocht innerlich, seit sein Vorgesetzter ihn angewiesen hat, sich von dem zum Persischen Golf fahrenden Geschwader zu lösen und den Golf von Mexiko anzusteuern.
Diese verfluchte Bergungsmission inmitten des womöglich schärfsten Konflikts in zwanzig Jahren! Die ganze Navy wird uns mit Hohn und Spott übergießen.
Fregattenkapitän Curtis Broad, der Erste Offizier des Schiffes, tritt zu Loos. »Entschuldigung, Käpt’n. Einer der Helikopter hat ein kleines U-Boot entdeckt, das eins Komma sieben Kilometer westlich von uns an der Oberfläche treibt. Zwei Überlebende an Bord. Der eine behauptet, er weiß, was den Untergang der Scylla verursacht hat.«
»Lassen Sie ihn in mein Besprechungszimmer bringen. Wann trifft der Vizepräsident ein?«
»In fünfunddreißig Minuten.«
In der Ferne zuckt ein lautloser Blitz über den Himmel, mehrere Sekunden später folgt grollender Donner.
»Rufen Sie alle Boote zurück, Mr. Broad. Ich bin im Besprechungszimmer. Informieren Sie mich, wenn der Vizepräsident da ist.«
»Aye, Sir.«
Der Kaman SH-2G Seasprite, ein zur U-Boot-Jagd ausgerüsteter Kampfhubschrauber, hüpft zweimal auf, bevor er auf dem Landedeck des Krie g sschiffs zum Stehen kommt.
Mick Gabriel packt ein Ende von Dominiques Trage, der Kopilot das andere. Als die Seitentür des Hubschraubers
aufgeht, eilen der Schiffsarzt und mehrere Sanitäter herbei.
Der Arzt beugt sich über die bewusstlose junge Frau. Er vergewissert sich, dass sie atmet, fühlt ihr den Puls und leuchtet mit einer kleinen Taschenlampe in ihre Augen. »Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung, vielleicht auch innere Verletzungen. Bringt sie ins Lazarett.«
Ein Sanitäter schiebt Mick beiseite und nimmt ihm die Griffe der Trage ab. Mick ist zu schwach, um sich zu wehren.
Der Arzt mustert ihn aufmerksam. »Junge, Sie schauen aus, als wären Sie in der Hölle gewesen. Irgendwelche Verletzungen, mal abgesehen von den Schnittwunden und blauen Flecken, die ich sehe?«
»Ich glaube nicht.«
»Wie lange sind Sie jetzt schon wach?«
»Keine Ahnung. Zwei Tage vielleicht. Was ist mit meiner Freundin, wird sie wieder gesund?«
»Bestimmt. Wie heißen Sie?«
»Mick.«
»Kommen Sie, Mick. Wir versorgen Ihre Wunden, geben Ihnen was zu futtern und machen Sie ein bisschen sauber. Sie brauchen nur ein wenig Ruhe...«
»Kommt nicht in Frage«, mischt sich ein Leutnant ein, der neben den Arzt getreten ist. »Der Käpt’n will ihn in einer Viertelstunde im Besprechungszimmer sehen.«
Es regnet, als der Hubschrauber mit Ennis Chaney auf dem Achterdeck der Boone landet. Der Vizepräsident beugt sich zur Seite und rüttelt die schlafende Gestalt neben ihm wach. »Aufwachen, Teperman, wir sind da. Wie Sie bei dem ganzen Geschaukel schlafen können, ist mir absolut unbegreiflich.«
Marvin Teperman verzieht den Mund zu einem dünnen Grinsen, während er sich den Schlaf aus den Augen wischt. »Das viele Fliegen macht mich fertig.«
Ein Leutnant schiebt die Tür auf, salutiert und führt die beiden Männer zu den Aufbauten. »Sir, Kapitän Loos erwartet sie in seinem Besprechungszimmer...«
»Der kann warten. Zuerst will ich die Toten sehen.«
»Gleich jetzt, Sir?«
»Gleich jetzt.«
Der Offizier führt sie in einen großen Hangar, auf dessen Betonboden in langen Reihen Leichensäcke liegen.
Chaney geht langsam von Sack zu Sack und bleibt bei jedem stehen, um die Namen auf den Anhängern zu lesen. »Mein Gott...« Der Vizepräsident kniet sich neben einen Sack und zieht mit zitternden Händen den Reißverschluss auf. Er starrt
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