2027 - Schwanengesang
die unzureichende medikamentöse Versorgung wie mit einem Hammerschlag bemerkbar. Der Druck auf seine Augen war mit einemmal so stark, daß schon der Versuch schmerzte, sie offenzuhalten. Das dumpfe Pochen, das zuvor auf seinen Brustkorb beschränkt gewesen war, durchdrang nun seinen gesamten Körper. Er hatte das Gefühl, seine Knochen bestünden aus Blei, so müde und erschöpft war er.
Am liebsten hätte er kurz geduscht und sich dann gleich ins Bett gelegt. Einerseits war ihm das nicht möglich, und andererseits war er so aufgewühlt, daß er sowieso nicht schlafen könnte.
Also tat er das einzige, was ihm übrigblieb. Und was getan werden mußte.
Mit gespieltem stoischem Gleichmut holte er den Holoprojektor hervor und aktivierte ihn.
Symth Windsor-Barirs Holo-Bildsequenz „Sybilla" erschien vor der Rückwand der hohen Kabine. Him justierte den Projektor, bis sich das Holo genau in der Mitte der Wand befand.
Unmerklich veränderte die rothaarige Frau ihr Aussehen. Windsor-Barir galt, als Exzentriker unter den bedeutenderen terranischen Künstlern. In einem aufsehenerregenden Prozeß hatte er vor einigen Jahren einem Kritiker nachgewiesen, daß er tatsächlich, wie behauptet, einer antiken irdischen Dynastie entstammte, dem britischen Königshaus, das hauptsächlich durch sehr gewalttätige Herrscher bekannt geworden war, die selbst vor der Beseitigung enger Familienangehöriger wie Ehefrauen oder Schwiegertöchter nicht zurückgeschreckt waren, wenn das politische Kalkül es verlangte.
Him hielt Windsor-Barir für den bedeutendsten der posttobianischen Maler, die es gewagt hatten, nach fast einem Jahrhundert der künstlerischen Stagnation gegen das vorherrschende Dogma des Ultrarealismus anzukämpfen. Seine Hologramme waren verspielt und scheuten sich nicht, ihre Einflüsse einzugestehen, die aus den klassischen irdischen Epochen des Jugendstils und Präraffaelismus kamen.
Sein Blick fiel - wie immer - auf die Unterschrift des Künstlers. Sie war bedeutender für ihn, als man ahnen mochte. Er hatte das Kunstwerk beim Besuch eines Holo-Museums von Symth Windsor-Barir signieren lassen.
Allerdings hatte Monkey das Kunstwerk verschandeln lassen. Er hatte die Seriennummer fälschen lassen, so daß sie mit der eines Exemplars aus der limitierten Serie mit einer Auflage von lediglich dreihundert Stück übereinstimmte, von dem bekannt war, daß ein Arkonide es während der Annexion des Hayok-Sternenarchipels erbeutet hatte. Dieser Umstand war in den Syntroniken des Kristallimperiums verzeichnet, und Him führte die Bescheinigungen mit sich, die lückenlos belegten, daß er der Käufer dieses Exemplars war. Die Sache war wasserdicht.
Obwohl Him wußte, daß er Schwierigkeiten haben würde, sich wieder zu erheben, ging er vorsichtig in die Hocke und rutschte an der Naat-Pritsche hinab, bis er einigermaßen bequem saß. Entrückt betrachtete er die mythische Sybilla. Sie schien ihn fragend anzuschauen, als erwartete sie, daß er sich endlich an sie wandte.
Das war die eigentliche Attraktion des Kunstwerks. Sybilla gab Weissagungen von sich, wenn man sie gezielt ansprach. Sie veränderte nicht nur ihr Aussehen, sie sprach zu ihrem Besitzer.
Niemand wußte, woher sie ihre Weisheiten hatte, nur Symth Windsor-Barir, und der würde den Teufel tun, es zu verraten. Aber Him hatte schon oft festgestellt, daß ihre Äußerungen einen gewissen Sinn ergaben - wenn man nur lange genug darüber nachdachte und auch vor gewagten Interpretationen nicht zurückschreckte.
Aber das galt wohl für alle Orakelsprüche.
Ursache und Wirkung, dachte er.
Monkey hatte den Projektor öffnen und seinen Inhalt manipulieren lassen. Dazu waren absolute Experten erforderlich. Es waren mehrere Fälle bekannt, bei denen die Besitzer den Projektor geöffnet hatten, um herauszufinden, wie es möglich war, daß Sybilla mit melodischer, volltönender Stimme Prophezeiungen tätigte, die dann auch noch eintrafen.
Jedesmal war der Projektor explodiert. Der Künstler hatte an den Erwerb seiner Werke die Bedingung geknüpft, daß man solche Versuche unterließ, und auf die Folgen einer jeglichen Manipulation hingewiesen.
Die USO verfügte über die erforderlichen Fachleute. Und ihr Chef hatte darauf gesetzt, daß Symth Windsor-Barir bei den Arkoniden so bekannt war, daß sie von den Folgen von Manipulationsversuchen wußten. Schließlich machte Imperator Bostich I. ja kein Hehl aus seiner unerklärlichen Vorliebe für einen terranischen
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