203 - Die Wüstenfalle
es um Frauen oder Pferde oder Aktienkurse. Awakian hatte Ben Ulashi und seinen liebsten Sprössling noch nie über etwas anderes sprechen gehört.
Die beiden Ben Ulashis vor dem Arzt und dem Ingenieur starrten stumm zu den Hubschrauberfenstern hinaus.
Muhammad Ben Ulashi, der UNO-Botschafter, und Yassir Ben Ulashi, von dem man munkelte, er würde gewisse Terrorgruppen nicht allein mit Geld unterstützen. Kein Wort sprachen die beiden miteinander.
Die Helikopter landeten auf einem relativ freien Platz zwischen Teich und Gebäudekomplex. Die Oase war fast drei Hektar groß. Awakian wusste, dass sie durch eine Anhebung des Grundwasserspiegels entstanden war. Der Teich war im Grunde eine künstliche Quelle.
Man wartete, bis die Sandwolken sich gesenkt hatten, dann stieg man aus. Hassan El Tubari ging voran und schloss das größere der beiden oberirdischen Gebäude auf. In ihm lag der Bunkereingang.
Das zweite Gebäude enthielt Stromgeneratoren, eine Pumpanlage und ein paar Garagen mit Fahrzeugen, Arbeitsmaschinen und Gartenwerkzeugen.
Die Leibwächter postierten sich vor den Gebäuden und bei den Helikoptern. Die Diener bereiteten eine Art Picknick vor, das nach der Bunkerbesichtigung eingenommen werden sollte.
Die Techniker verschwanden in dem Haus mit den technischen Anlagen. Nur der Scheich, seine Söhne, sein Chefingenieur und das Ärzteteam betraten das Gebäude, in dem der Bunkereingang lag.
Das Innere des Hauses unterschied sich nicht groß von der Einrichtung der Wochenendvilla, die Kemal Ben Ulashi an der Küste des roten Meeres besaß. Awakian hatte ihn einmal dort besucht. Es gab einen luxuriösen Salon, eine Bar, eine großzügige Küche, zahlreiche Schlafzimmer und einen Gesellschaftsraum von der Größe eines mittleren Bahnhofs. In der Mitte des Gebäudes jedoch führte Achmed Ben Ulashi sie in einen Raum mit einem Liftschacht. Drei Aufzüge gab es hier – einen geräumigen Lastenaufzug und zwei Personenaufzüge.
Sie nahmen den Lastenaufzug; der konnte mehr als dreißig Personen transportieren. Während der Lift sie in die Tiefe trug, forderte der Scheich seinen Chefingenieur auf, seinen Söhnen und dem Ärzteteam ein paar Informationen über das unterirdische Bauwerk zu geben.
»Wir haben für die Zukunft gebaut«, begann El Tubari. »Für die Zukunft der Familie Ben Ulashi und für die Zukunft der Familien ihrer besten Freunde.« Bei diesem Satz bedachte der Ingenieur die Ärzte mit einem bedeutungsvollen Blick. »Für die Zukunft, das heißt: nicht für hundert Jahre, auch nicht für zweihundert Jahre, sondern für mindestens tausend Jahre.«
Er sprach über Materialien, Wanddurchmesser, Schwingungen, Kapazität, Energieversorgung, Statik und so weiter, doch Awakian hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Was hatte El Tubaris Blick zu bedeuten gehabt? Für die Familie und für die besten Freunde? Sollte der Ingenieur dabei an ihn, Awakian, und an die Smiths gedacht haben?
Ein kalter Schauer rieselte dem Nobelpreisträger über Nacken und Schulter. Niemals, seit er Ende August zum ersten Mal von
»Christopher-Floyd« gehört hatte, war ihm der Gedanke gekommen, er müsste sich eventuell um die Rettung seiner Familie kümmern. Und jetzt, während er mit den Smiths und sieben Arabern in einen unterirdischen Atombunker fuhr, rückte ihm dieser Gedanke so nahe, dass es ihm schier den Atem raubte. Zum ersten Mal rechnete er nach, wie viel Zeit ihm noch blieb bis zum möglichen Einschlag des Kometen. Etwas mehr als vier Monate…
»… der Bunker ist für fünfhundert Menschen konzipiert.« El Tubaris Stimme drang wieder in sein Bewusstsein. »Die Kandidatenliste wird aber beim dreihundertfünfzigsten Platz geschlossen. Etwas mehr als dreihundert Plätze wurden bisher vergeben.« Der Aufzug stoppte, der Ingenieur wies auf die sich öffnende Lifttür. »Wir befinden uns jetzt übrigens neunzig Meter unter der Erdoberfläche.«
Die neun Männer und Floria Smith verließen den Aufzug.
Awakian hatte plötzlich das Gefühl, einen Sack Zement auf jeder Schulter zu schleppen. Es waren aber keine Zementsäcke, die ihn beschwerten, es war das Wort »Kandidatenliste«. Er suchte Blickkontakt zu Allan und Floria Smith. Die Miene des Neurologen Allan Smith war wie versteinert. Seine Frau Floria, eine Molekularbiologin, wirkte reichlich verstört.
Die Lifttüren schlossen sich hinter ihnen, und Awakian fragte sich unwillkürlich, was geschehen würde, wenn plötzlich aus irgendwelchen Gründen der Aufzug
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