203 - Die Wüstenfalle
Kamelreiter drangen auf den Daa’muren ein.
Victorius hatte sich längst wieder in der Luftschiffgondel verbarrikadiert und zielte durch das Fenster auf die schwarzen Krieger.
Der Kampfplatz um Daa’tan war inzwischen übersät mit einem guten Dutzend Dornenbüschen, in denen sich die Säbelkämpfer verfangen hatten. Aruula sah fast nur noch die schwarzen Haare des Jungen, so dicht stand das wuchernde Gestrüpp um ihn herum.
Die Wüstenkrieger hieben auf die wie aus dem Nichts aufsprießenden Hecken und Rankengewächse ein, statt Daa’tan anzugreifen. Sie halfen ihren gefangenen Gefährten oder flüchteten, statt dem Willen ihres Anführers zu folgen.
Aruula sah, dass der Kampf hier unter den Dattelpalmen gewonnen war. Sie wollte gerade Grao’sil’aana und Victorius zu Hilfe kommen, als sie eine Staubwolke auf dem Dünenkamm im Westen entdeckte. Kamelreiter! Die nächste Gruppe griff an!
Mindestens fünfzig diesmal!
»Hilf mir, Mutter!«, brüllte Daa’tan plötzlich. »Ich hab mich in meinen eigenen Pflanzen verstrickt!« Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln spähte hinter sich: Daa’tan war vollkommen eingeschlossen von Dornenhecken. Nicht einmal seine Schwertspitze konnte Aruula noch erkennen. »Ich komm aus dem verdammten Gestrüpp nicht mehr raus, Mutter!«, schrie er.
»Und ich kann nicht mehr aufhören, Dornen wuchern zu lassen! Die Ranken schnüren mich ein! Mutter! Hilf mir doch…!«
***
8. Februar 2012
Sie hasteten zurück zur Gemeinschaftshalle. Die Anspannung dort war jetzt mit Händen zu greifen. Erregtes Stimmengewirr schlug ihnen entgegen. Unter den Rauchschwaden vor der Großbildleinwand steckten der Scheich und seine Söhne die Köpfe zusammen. Ein paar Männer um sie herum telefonierten hektisch. Offenbar verhandelte man mit Yassir Ben Ulashi und seinen Waffenbrüdern.
Ein knochiges Gesicht mit einer kleinen Stupsnase und unnatürlich großen Glubschaugen dominierte die Leinwand.
Awakian kannte das Gesicht. In den letzten zwei Monaten hatte er es auf jedem amerikanischen oder europäischen Nachrichtensender gesehen, wenn er das TV-Gerät einschaltete; an manchen Tagen zwei- oder dreimal. Professor Doktor Jacob Smythe hieß der Mann. Einer der international führenden Astrophysiker. Weil er außerdem noch Mediziner war, hatte Awakian fünf oder sechs Jahre zuvor einmal in Berkeley, Kalifornien mit ihm zu tun gehabt. Er fand ihn unangenehm.
Doch Präsident Schwarzenegger schien einen Narren an ihm gefressen und ihm eine steile Karriere beschert zu haben.
Awakian schob seinen großen dürren Körper durch die Menschenmenge am Eingang der Halle. Aus schmalen Augen fixierte er die Zeitangabe auf der Leinwand. Wenn man der digitalen Anzeige am unteren Bildrand glauben wollte, würde in drei Stunden, dreiundvierzig Minuten und sechsundfünfzig Sekunden die Welt untergehen. Georgios Awakian stockte der Atem.
Eine Blondine mit einem durchsichtigen roten Gesichtsschleier kam ihnen entgegen gelaufen: Ali Ben Ulashis norwegische Frau. Sie warf sich ihm an die Brust. »Er wird den Bunker angreifen«, flüsterte sie. »Er wird alle Ungläubigen in den Tod treiben…«
»Beruhige dich, mein Herz.« Allen arabischen Sitten trotzend, hielt Ali seine Frau fest und streichelte zärtlich ihre Wangen.
»Wir werden eine Lösung finden, vertrau mir.«
Awakian sah, dass die Europäerin zitterte. Und jetzt erst fiel ihm die Unruhe in der gesamten Frauenecke auf: Viele Frauen weinten, manche schlugen sich jammernd an die Brust, die meisten umarmten einander. Hatten sich Yassirs Forderungen also schon herumgesprochen? Oder war etwa der Kampflärm schon bis hier unten zu hören? Awakians Mund war auf einmal trocken, sein Herz schlug ihm in den Schläfen. Durch die Menge bahnte er sich einen Weg zum Scheich.
Auf der Großbildleinwand redete immer noch dieser Smythe.
Er verkündete, dass die NATO in weniger als anderthalb Stunden Interkontinentalraketen mit atomaren Sprengköpfen auf »Christopher-Floyd« abfeuern werde. Es gäbe somit noch eine kleine Chance, den Kometen zu zerstören und die Erde zu retten.
Ein Kommentator von Al Dschasira übersetzte ins Arabische; allerdings geizte er an manchen Stellen mit Worten, und so wurde für diejenigen, die kein Englisch konnten, aus der
»kleinen Chance« eine »Chance« und nach wenigen Gliedern der Gerüchtekette sogar eine »fast sichere Chance«.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Awakian, wie etliche Menschen in der Gemeinschaftshalle erregt
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