2030 - Chimaerenblut
diesen gefährlichen Aktivisten wegkommen. Ich habe bereits mit deiner Mutter telefoniert. Wir schicken dich als Au-pair in die USA.
»Vater, das kannst du doch nicht machen.« Josis Stimme überschlug sich. »Ich bin siebzehn.«
»Genau deshalb. Wir haben die Verantwortung für dich. Deine Mutter hatte einen sehr vernünftigen Vorschlag. Marcus hat Kontakte.«
Josi schnappte nach Luft. Marcus Mill, angesehener Mediziner und der zweite Mann ihrer Mutter, war seit Jahren der verhasste Gegner ihres Vaters. Und jetzt verbündeten sie sich gegen sie. Tränen schossen ihr in die Augen, auch weil sie Leon dann nie wieder sehen würde.
Ihr Vater zog sie tröstend in die Arme. »Es ist mein voller Ernst. Deine Pubertät ist abgeschlossen, die Kiemen haben vor einem Jahr aufgehört zu wachsen. Nichts weist auf Komplikationen hin. Marcus sagt das auch. Du bist reisefähig. Er kümmert sich um den Kontakt. Eine angesehene Diplomatenfamilie. Der Hausherr ist ein hohes Tier im US-Kongress für Chimärenrechte . Ich benötige nur noch ein aktuelles Passbild von dir…«
»Wie kannst du nur?«, schrie sie empört und rannte in ihr Zimmer. Sie gab der Tür einen kräftigen Tritt. Holz knackte, als sei es irgendwo gesplittert.
Natürlich hatte ihr Vater mal wieder das Allerbeste für sie ausgewählt. Reiche Leute! Ein goldener Käfig. Warum begriff er nicht, dass sie erwachsen war?
Plötzlich spürte sie eine Hand auf der Schulter. Sie hatte ihren Vater nicht ins Zimmer kommen gehört und zuckte zusammen.
»Josi, bitte. Es ist besser so. Ich habe doch nur Angst um dich. Was denkst du, was es heißt, in den Knast zu gehen? Glaub mir, da gehst du vor die Hunde.«
Langsam drehte sie sich um. Und wenn schon, lag ihr bereits auf den Lippen, aber sie schwieg.
Ihr Vater hatte gerötete Augen.
»Ich muss zu diesem Wilmershofen , vielleicht kann ich mit ihm reden oder ihm mit einem Bericht drohen. Habt ihr Fotos gemacht?«
Sie nickte. »Ich!«
Ihr Vater schaltete seinen Computer ein und setzte die Screen- Glasses auf. Er suchte die Adresse der Hühnerfabrik. » Wilmershofen «, da hatte er ihn. Er speicherte die Adresse, ließ sich von Josi den Serverzugang für ihre Bilder geben und schob die Daten in sein Postfach. Er sah kurz hoch. »Ich lösche die Bilder von deinem Server.« Dann bereitete er eine E-Mail an Wilmershofen vor.
»Haben deine Freunde auch Fotos gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Im Vorbeigehen zog er seine Jacke vom Haken. »Du kannst in der Zwischenzeit schon mal aufräumen.«
Die Tür klackte, und Josis NanoC drängelte immer lauter. » You and me …« Sie wühlte in ihrer Tasche und sah aufs Display. Leon!
»Wie geht es dir?« Seine Stimme klang gehetzt.
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe euch nicht verraten. Ich nehme alles auf mich. Mein Vater haut mich da wieder raus. Er will mit Wilmershofen reden.«
»Dein Vater? Spinnt der?« Leon wurde laut. »Gib ihn mir sofort!«
»Geht nicht, er ist schon weg.«
»Hat er mit dir über den Brand gesprochen?«
»Welcher Brand? Leon?«
Er hatte aufgelegt. Sie wählte seine Adresse, aber sein NanoC war ausgeschaltet.
4
Östlich von Berlin:
Er kam zu spät. Thomas Garden verschwand gerade im Haus von Wilmershofen . Leon fluchte leise vor sich hin und schmiss sein Bike ins Gebüsch. Dann rannte er geduckt zum Grundstück, übersprang mit einem Satz den Zaun und blieb im Schatten der Bäume stehen.
Das Garagentor stand offen. Von der Terrasse drang Gemurmel und Lachen herüber. Leon schlich an eine Hausecke. Gäste saßen auf Lounge-Möbeln oder flanierten im Garten. Menschen, keine Chimären, soweit er sehen konnte. Sie hielten Sektgläser in den Händen. Der Geruch ihrer Pheromone, vermischt mit teurem Parfüm, drang in seine Nase.
Karl Anton Wilmershofen gab also eine Party für seine wohlhabenden Freunde. Leon knirschte mit den Zähnen. Er konnte sich nur noch schwer beherrschen. Wenn er jemandem den Tod wünschte, dann dem Hühnerbaron.
Leon entfernte sich rückwärts schleichend und lief geduckt zum Vordereingang. Wo war der Scheißkerl? Mit schnellen Schritten hastete er zur linken Hausseite. Ein Fenster war hell erleuchtet. Er stellte sich in den Schatten einer Konifere und blickte hinauf. Wilmershofen stand mit Thomas Garden hinter dem Fenster. Das also war der Vater von Josi, ein sportlicher Mann in den Vierzigern, mit dunklen Haaren und wütend funkelnden Augen, der wild gestikulierte. Garden war so ganz anders
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