2035 - Exodus der Herzen
ließ normalerweise keinerlei Zweideutigkeiten zu. Sosehr ich mir den Kopf über dieses Phänomen zerbrochen hatte, es war mir nicht gelungen, auch nur im Ansatz eine Erklärung für diesen Widerspruch zu finden. „Der Kym-Jorier wurde rechtzeitig geborgen", hallte die Stimme der Superintelligenz durch die Zentrale.
Ich atmete erleichtert auf, doch schon im nächsten Augenblick nagten neue, unbehagliche Zweifel an meiner Erleichterung. Wieso akzeptierte die Superintelligenz in offensichtlicher Verkennung der Sachlage einen Kym als Kym-Jorier?
Warum tust du uns das an, ES? dachte ich. Warum gibst du uns nicht alle Informationen, die wir brauchen, um effektiv für dich tätig werden zu können? Warum überraschst du uns immer wieder mit unverständlichen Entscheidungen? Ist das wirklich nur dein Wesen? Oder unterscheiden sich Superintelligenzen tatsächlich so sehr von denen, die in der Evolution unter ihnen stehen, daß ihr Verhalten für diese einfach nicht mehr nachvollziehbar ist?
Narr, sagte der Extrasinn lakonisch. „Aber damit ist die Aufgabe des Hantelraumers und seiner Besatzung noch lange nicht beendet", durchdrang mich ES' Stimme bis in die tiefste Faser meines Seins.
Ich stöhnte gequält auf.
Mach dich nicht lächerlich. Das hast du doch erwartet. Oder glaubst du etwa, damit sei es schon vorbei?
Ich habe ... „Sollen die Menschheit, ES und Thoregon gerettet werden", unterbrach die Stimme des Alten von WANDERER meine Entgegnung an den Extrasinn, der sich in diesem einen Fall wieder mal als Lästersektor präsentierte, „muß die SOL sich auf dem schnellsten Weg nach INSHARAM begeben. Dort werden weitere Anweisungen folgen."
ES schien auch diese seine zweite Botschaft an die Besatzung von der SOL für äußerst amüsant zu halten, denn die Holographie des weißbärtigen Terraners verblaßte mit demselben Gelächter wie bei ihrem ersten Erscheinen.
Die Lade glitt abrupt in den Kokon zurück. Ich wußte, ich würde keine weiteren Informationen erhalten.
Ich sah zu den anderen hinüber. Die Anspannung auf dem Gesicht des Smilers hatte sich etwas gelöst. Nun wirkte es wie erstarrt, zeugte hauptsächlich von Niedergeschlagenheit und Hilflosigkeit.
Derselben Hilflosigkeit, die sie bei ihrer Ankunft in der NACHT empfunden hatten. Derselben Niedergeschlagenheit, die sich eingestellt hatte, als sie erfahren hatten, wie tief es uns in die Vergangenheit verschlagen hatte. „INSHARAM", sagte Tekener zu Paumyrs Botin. „Du hast diesen Begriff bereits erwähnt, aber wo genau finden wir INSHARAM? Was ist INSHARAM?"
Ich ahnte, welche Antwort Jamaske uns geben würde, hatte nicht den geringsten Zweifel daran. So leicht würde die Schicksalhaftigkeit uns nicht aus dem Griff lassen! Fragend drehte ich mich zu Paumyrs Projektion um. „INSHARAM", sagte die Rautak, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres im Universum, „ist nach unserer Legende der Ort hinter dem Schlafenden Licht, dem Alshma Ventor. Passiert man das Portal am Südpol von Auroch-Maxo-55, durch das die Inzaila Onda seit Anbeginn der Geschichte den türkisfarbenen Ozean verlassen haben, gelangt man nach INSHARAM."
„Ausgerechnet", murmelte Tekener. „Wie könnte es auch anders sein!"
Ich lachte leise auf. Der Smiler hätte damit rechnen müssen. Natürlich, wie könnte es anders sein!
Ausgerechnet jene etwa fünfzig Kilometer durchmessende, kreisförmige Zone am Südpol, auf dem freien Ozean, die zahlreiche hyperphysikalische Anomalien aufwies, die in ihrer Gesamtheit für die Wissenschaftler der SOL noch immer ein absolutes Rätsel darstellten. „Unendlich weit jenseits der Auroch-Maxo-Dunkerwolke existiert jener Ort", fuhr Jamaske fort, „eine Oase des Friedens, in der das Wissen und die Weisheit des Kosmos gesammelt werden."
„Was ist das für ein Ort?" fragte ich. „Wie gelangen wir dorthin? Und ..."
Ich verstummte. SENECA materialisierte eine große Hologalerie in die Zentrale. Die dreidimensionalen Darstellungen zeigten Auroch-Maxo-55 und den über dem Planeten schwebenden S-Zentranten in verschiedenen Vergrößerungsstufen.
Unwillkürlich erschrak ich. Ich hatte schon einige Weltuntergänge gesehen, aber solch ein Anblick war noch immer schier unfaßbar, schien sich einfach einem humanoiden Verstand zu entziehen.
Auroch-Maxo-55 torkelte buchstäblich dem Ende entgegen. Einblendungen verdeutlichten, daß der Planet von den entfesselten Gewalten aus seiner Bahn gerissen worden war. Die daraus resultierenden schweren
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