204 - An Afras Ufern
Weg.
»Fass ihn ja nicht an. Hol eine Decke und dann ab mit ihm ins Meer!« Matthew blickte fragend in das bärtige Gesicht des Masters. Dessen grüne Augen flatterten unruhig. »Keine Fragen jetzt! Tu einfach, was ich dir sage!«
Bevor Matt protestieren konnte, erschien Ohnzung neben dem Toten. Er hielt Little Master im Arm und strich ihm wie in Trance in schneller Folge über das Fell. Seine Augen waren auf den Smutje geheftet, sein Mund war leicht geöffnet und sein Körper bebte. Als er Matts Blick bemerkte, schaute Ohnzung ihn erschrocken an. Als hätte Matt ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Der kleine schwarze Mann zog die Schultern ein und huschte schnell davon. Fast wie ein geprügelter Hund, dachte Matthew.
»Wie ein geprügelter Hund!« Mit diesen Worten auf den Lippen schreckte Matt aus dem Schlaf hoch. Verwirrt schaute er sich um. Er lag auf einer harten Matratze in einem der Gästehäuser Kisaayos. Aus der kleinen Kammer nebenan hörte er das Plätschern von Wasser und Rulfans tiefen Bass: Der Albino nahm in einem Zuber ein Bad und summte ein Lied.
Matthew ließ sich zurück in die Kissen sinken. War das Ganze nur ein Traum gewesen?
Wieder und wieder ließ er die Bilder vom Tod des Smutje und dem merkwürdigen Verhalten von Ohnzung vor seinem inneren Auge ablaufen. Ob Traum oder nicht, eines war sicher: Ohnzung war der Tote, den sie am Strand gefunden hatten!
***
Das kleine Gästehaus schien gerammelt voll zu sein. Als Matt und Rulfan ihre Zimmer verließen, hörten sie aus allen Ecken des zweistöckigen Hauses Stimmengewirr. Es war inzwischen später Abend. Matthew hatte ebenfalls ein Bad genommen.
Erfrischt und ausgeschlafen wollten die Gefährten nach einem Führer suchen, der ihnen hoffentlich einen fahrbaren Untersatz besorgen würde. Sie wollten keinen Tag länger als notwendig in der Stadt der Kasanjas bleiben.
Auf den Gängen und Treppen standen Männer und Frauen, die wild gestikulierend miteinander redeten. Die Lautstärke, in der sie das taten, erweckte den Eindruck, als würden sie miteinander streiten. Aber dem war nicht so: Immer wieder unterbrachen sie mit schallendem Gelächter ihre scheinbaren Wortgefechte.
Matt und Rulfan stiegen langsam die Treppe hinunter.
»Glaubst du wirklich, dass das alles Gäste sind?« Der Albino betrachtete die Menschen auf der Treppe und in der unteren Halle. Sie waren allesamt hellhäutig und ähnlich bekleidet wie die Mitglieder des Stadttribunals.
Hinter der kleinen Theke der Rezeption saß ein Mann mit kantigem Gesicht. Er trug ein gestreiftes Kapuzengewand und einen lila Turban um dem Kopf. Kaum hatte er Matt und Rulfan entdeckt, winkte er ihnen zu.
»Haben die Herrschaften gut geschlafen? Möchten sie noch ein wenig ausgehen?« Er rang sich ein Lächeln ab und wedelte mit blassgrünen Karten. »Hier sind Coupons für ein Essen und einen kostenfreien Führer.« Er drückte Matt die Scheine in die Hand. »Die erhält jeder, der Kisaayo das erste Mal besucht!«
Matt nahm die Coupons misstrauisch entgegen. Er glaubte nicht, dass es viele gab, die Kisaayo freiwillig besuchten.
Allerdings konnte er sich gut vorstellen, dass es viele gab, die unfreiwillig in Kisaayo ihre Strafe abarbeiten mussten, weil sie die Zeit ihrer Aufenthaltsgenehmigung überschritten hatten. Er nickte dem Mann mit dem Turban wortlos zu und ging mit Rulfan zum Ausgang. Er hatte schon die Klinke in der Hand, als aus einer Nische neben der Tür eine raue Stimme ertönte:
»Das würde ich nicht tun!«
Matt und Rulfan spähten in die Nische: Ein stämmiger Kerl mit langen braunen Haaren und Vollbart saß breitbeinig auf einem Stuhl. Sein T-Shirt mit Efrantenaufdruck hing ihm aus der Hose. Darunter quoll eine weiße Speckfalte über den Bund.
»Regel Nummer eins: Fremden ist es nicht gestattet, sich ohne Führer in Kisaayo zu bewegen!« Seine kleinen grauen Augen musterten erst Matt, dann Rulfan und schließlich Chira. »Regel Nummer zwei: Auch mit Hunden ist es Fremden nicht erlaubt, sich ohne Führer durch Kisaayo zu bewegen!« Er prostete den verdutzten Gefährten zu und nahm einen kräftigen Schluck aus einem schmierigen Glas.
»Aha, und du bist wohl einer dieser Führer?« Rulfan drückte sich in die Nische und stemmte beide Hände auf die Tischplatte neben dem Mann.
Der stämmige Kerl wischte sich über seinen Vollbart.
»Einer von vielen«, antwortete er, ohne den Albino anzuschauen. Er stellte das Glas auf dem runden Tisch ab, zog ein schmutziges Tuch aus der
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