205 - Das Zeichen der Ewigkeit
schaffte mit Brachialgewalt, was keinem Forscher gelungen war.
»Da sind lauter Gänge und Kammern!«, sagte Daa’tan beim Vorbeiflug an der zerstörten Außenwand. »Bist du sicher, dass das nicht doch ein Haus ist, Victorius?«
»Mais oui, bien sûr!« Victorius zeigte auf die dämmrige Tiefe. »Siehst du das Weiße in der Kammer da oben, das aussieht wie eine Andronenlarve? Zwischen den Trümmern, neben der umgestürzten goldenen Kiste? Das ist ein Toter! Wahrscheinlich der, für den die Pyramide errichtet wurde.« Er wiegte bedächtig den Kopf. »Es wundert mich, dass noch keiner die Grabbeigaben weggeholt hat. Na ja, vielleicht kommt man nicht dran.«
»Wer sollte einem Toten etwas stehlen?«, fragte Aruula bestürzt.
»Jeder, der sich für Gold interessiert«, sagte der Prinz.
»Aber keine Sorge, Mademoiselle. Folgendes: Die Verhüllten, wie man diese Leichen nennt, werden mit allem Respekt behandelt. Wenn das Gold abtransportiert ist, begleitet ein Priester den Verstorbenen zu einer neuen Ruhestätte. Im Tal der Stille. Liegt ein Stück weiter den Nil herunter.«
»Was ist daran respektvoll?« Die Barbarin war empört. Sie vergaß für einen Moment, was sie wusste, und fuhr Victorius an: »Wieso erlaubt dein Vater das?«
»Nun ja… äh…« Der Prinz griff sich an die Kehle. »Mon dieu, je croix que j’ai mal au cœur9!« ( Ich glaube, mir wird schlecht )
Ihm fiel auf die Schnelle keine brauchbare Lüge ein. Doch das machte nichts. Daa’tan rettete ihn, wenn auch ungewollt.
»Da brennt was!«, sagte er plötzlich. Über dem Nil stiegen schwarze Rauchwolken auf. Die Ursache konnte man nicht erkennen; sie lag in Ufernähe, hinter Palmen und Bodenwellen verborgen.
»Vielleicht ein Schiff«, überlegte Victorius.
Die Barbarin horchte auf. »Könnte sein, da war eins! Ich habe es gesehen. Wir sind darüber hinweg geflogen auf dem Weg hierher.«
»Sollen wir nachschauen, Daa’tan?«, erkundigte sich Grao’sil’aana eilfertig.
Aruulas Kopf flog herum. »Wozu das denn? Wenn ein Schiff brennt, war das entweder ein Unfall oder ein Überfall. Das eine kann mein Sohn nicht ändern, das andere ist zu gefährlich für ihn!«
»Mutter!«
»Ich sag’s ja: Irgendwann lässt sie dich nicht mal mehr allein raus!«, meinte der Daa’mure.
Daa’tans Wangen glühten, als er sich an ihm vorbei zwängte und Victorius hart auf die Schulter tippte. »Flieg zu dem Schiff, Mann! Jetzt, sofort!«
Eigentlich wollte er da gar nicht hin, aber was sollte er machen? Daa’tan hatte allmählich das Gefühl, dass es bei dem Gezanke zwischen seiner Mutter und Grao nur darum ging, wer die Oberhand behielt. Er selbst blieb dabei auf der Strecke, wurde nicht nach seiner Meinung gefragt. Wie peinlich für den künftigen Herrscher der Wolkenstädte!
Grao’sil’aana war tief gesunken, das wusste er selber.
Trotzdem hörte er nicht auf, Daa’tan Sohn zu nennen und um dessen Gunst zu buhlen. Er konnte nicht anders. Der Daa’mure fand es schlichtweg inakzeptabel, dass Aruula das Produkt seiner zweijährigen intensiven Arbeit für sich reklamierte; außerdem hallte da immer noch der Befehl des Sol in ihm nach, Daa’tan vor den Primärrassenvertretern zu schützen.
Zugegeben, der Sol war tot, und die Daa’muren hatten den Planeten verlassen. Somit war Grao’sil’aana eigentlich von allen Verpflichtungen entbunden. Aber was nützte ihm diese Freiheit? Nichts! Nahm er sie an, verlor er Daa’tan, der zu seiner Lebensaufgabe geworden war, und ohne Aufgabe verlor er jedes Ziel. Das jedoch wäre fatal, denn mit der Abreise des Wandlers gab es für Grao’sil’aana kein Zurück mehr. Er war ganz allein in dieser Welt. Ein Fremder unter Fremden. Für immer.
Nur aus dieser Überlegung heraus widersprach er Aruula, als sie Daa’tan eindringlich davon abriet, sich in die Kämpfe beim brennenden Schiff einzumischen. Grao’sil’aana teilte insgeheim ihren Standpunkt, sah andererseits aber kein wirklich großes Risiko für den Neunzehnjährigen, weil er ihn ja beschützen würde. Die Barbarin hingegen wäre da unten ganz auf sich selbst gestellt… und es konnte durchaus geschehen, dass sie eine tödliche Verletzung davon trug.
»Ich finde, wir sollten die Schwarzhäutigen nicht ihrem Schicksal überlassen«, sagte der Daa’mure deshalb. »Immerhin sind es Angehörige deines zukünftigen Volks, Daa’tan.«
»So sehe ich das auch. He, Victorius! Wie lange dauert das noch? Lande endlich!«
»Pas de chance, petit drôle! Der
Weitere Kostenlose Bücher