2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)
Ökonomie des natürlichen Ökosystems. Ein Wachstum der Makroökonomie bringt steigende Opportunitätskosten für reduziertes Naturkapital, was irgendwann weiteres Wachstum behindern wird.
Wenn aber, so wird argumentiert, unser empirischer Maßstab für Wachstum das BIP sei, das auf freiwilligem Kaufen und Verkaufen von Endprodukten und Dienstleistungen auf freien Märkten beruht, dann sei dies eine Garantie dafür, dass Wachstum sich immer aus guten Gütern und nicht aus »schlechten« Gütern zusammensetzt. Für schlechte Güter hat der Markt keinen Preis – trotzdem lässt es sich gar nicht vermeiden, dass schlechte Güter als Nebenprodukte zusammen mit den guten Gütern produziert werden. Da die schlechten Güter keinen Preis haben, kann die BIP-Berechnung sie nicht in Abzug bringen – stattdessen nimmt sie die zusätzliche Produktion von Maßnahmen gegen die schlechten Güter (die ja einen Preis haben) und zählt sie als gute Güter. Wir bringen zum Beispiel Verschmutzungskosten nicht als schlechte Güter in Abzug, aber den Wert der Beseitigung der Verschmutzung nehmen wir als etwas Gutes in die Rechnung auf. Das ist asymmetrische Bilanzierung. Darüber hinaus rechnen wir den Verbrauch von Naturkapital (zum Beispiel Ausbeutung der Minen, Brunnen, Aquifere, Wälder, Fischbestände oder der Humusschicht) als Einkommen anstatt als Abbau von Kapital – ein kolossaler Fehler in der Bilanzierung. Was immer das BIP sonst misst, es ist paradoxerweise auch der beste verfügbare statistische Indikator für die Gesamtheit von Verschmutzung, Ausbeutung, Überlastung und Verlust von Biodiversität. Der Ökonom Kenneth Boulding machte – mit einer nur leisen Andeutung von Ironie – den Vorschlag, man solle das BIP in Bruttoinlands kosten umbenennen. Zumindest sollten wir Kosten und Nutzen in getrennten Rechnungen zum Vergleich darstellen. Ökonomen und Psychologen erkennen allmählich, dass jenseits einer Suffizienzschwelle die positive Korrelation zwischen BIP und selbst eingeschätztem Glück verschwindet. Das ist keine Überraschung, da das BIP noch nie als Maßstab für Glück oder Wohlergehen gedacht war – nur für wirtschaftliche Aktivität; die ist manchmal erfreulich, manchmal nutzbringend, manchmal bedauerlicherweise notwendig, manchmal heilsam, manchmal trivial, manchmal schädlich, manchmal ganz einfach dumm.
Zusammengefasst glaube ich, dass wir die Grenzen des Wachstums in den letzten 40 Jahren erreicht haben; ich glaube aber auch, dass wir diese Tatsache bewusst nicht wahrhaben wollen, sehr zum Schaden der großen Mehrheit, aber zum Nutzen einer elitären Minderheit, die die Wachstumsideologie weiter anheizt, weil sie Mittel und Wege gefunden hat, den Nutzen des Wachstums zu privatisieren, die erheblich höheren Kosten dagegen zu sozialisieren.
Eine große Frage treibt mich um: Realitätsverweigerung, Selbsttäuschung, Vernebelung – kann dies alles noch 40 Jahre weitergehen? Und wenn wir auch weiterhin die wirtschaftlichen Grenzen des Wachstums nicht wahrhaben wollen, wie viel Zeit bleibt uns noch, bis wir an die weit unberechenbareren und katastrophaleren biophysischen Grenzen prallen? Ich habe die Hoffnung, dass wir es in den nächsten 40 Jahren schaffen, die nachsichtigeren wirtschaftlichen Grenzen endlich anzuerkennen und uns entsprechend anzupassen. Anpassung bedeutet, dass wir uns vom Wachstum hin zu einem Wirtschaftssystem im langfristigen Gleichgewicht (steady-state economy) bewegen, das in seinem Ausmaß sicherlich kleiner sein wird als heute. Damit meine ich die physische Größe der Ökonomie im Verhältnis zum Ökosystem, die wohl am besten mit dem Ressourcendurchsatz gemessen wird.
Ich muss gestehen, ich bin überrascht, dass die Realitätsverweigerung 40 Jahre lang angehalten hat. Für das Aufwachen brauchen wir, denke ich, so etwas wie Buße oder Umkehr, um es in religiösen Begriffen auszudrücken. Es ist müßig, Vorhersagen zu der Frage zu formulieren, ob wir für eine solche Umkehr die notwendige spirituelle Kraft und gedankliche Klarheit aufbringen werden. Die Richtung, die die Geschichte nehmen wird, vorhersagen zu wollen, das beruht auf einem Determinismus, der Vorsatz und Anstrengung als ursächlich negiert. Wenn wir aber tatsächlich Deterministen sind, dann spielt es keine Rolle, was wir vorhersagen; selbst unsere Vorhersagen sind determiniert. Als Nicht-Determinist hoffe und arbeite ich dafür, dass der Wachstumswahnsinn innerhalb der nächsten 40 Jahre zu einem Ende kommt.
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