2053 - Der neue Tato
Verwaltung und Logistik genossen und sein eigenes organisatorisches Geschick durch kühle Berechnung und Improvisationstalent bewiesen. Wiederholt hatte er als Gouverneur unter Beweis stellen müssen, dass er sein Metier beherrschte - bis ihm die durchaus zweifelhafte Ehre eines Tato von Ertrus zuteil geworden war, Anfangs hatte ihn die Herausforderung sogar gereizt. Mittlerweile sah er vieles aus einem anderen Blickwinkel doch es gab kein Zurück. Sein Ehrgeiz galt längst dem eigenen Überleben, das er über die Interessen des Imperiums stellte. Arkoniden würden auf Ertrus nie heimisch werden. Das waren ketzerische Gedanken, die ihm ein schnelles Gerichtsverfahren auf Celkar einbringen konnten, weshalb er nicht einmal seinen engsten Vertrauten davon erzählte.
Siedendheiß spürte Subeat dom Cyllken Kraschyns forschenden Blick. Der Mascant schien ihn förmlich mit den Augen zu sezieren. „Drei Wochen sind nicht viel", begann Kraschyn erneut. „Ich biete dir Kampfschiffe für eine schnelle militärische Operation gegen die Rebellen an."
„Nein!" Der Tato erschrak über die eigene Heftigkeit, mit der er den Mascant brüskierte. Im selben Atemzug fügte er hinzu: „Der ertrusische Widerstand ist schwer zu fassen. Abgesehen von den zweifelhaften Erfolgsaussichten großer Aktionen würden diese genau die Unruhen provozieren, die es zu vermeiden gilt."
„Das ist deine Entscheidung, Tato. Der Begam muss eine funktionierende Kolonie Ertrus antreffen; nach dem Wie wird er nicht fragen."
Die beginnende Abenddämmerung färbte den Himmel bis in den Zenit mit einem düsteren Purpur. Zugleich tobte ein heftiger Sturm, Staubschleier erhoben sich im Zentrum von Baretus. Das neue Verwaltungsgebäude verblasste zum groben, düsteren Klotz in den wehenden Schwaden. Der Gleiterpulk überflog die brodelnden Überreste der Barkennto-Quelle, des einstigen Wahrzeichens der Stadt. Mit Urgewalt war der Geysir - trotz der Schwerkraft von 3,4 Gravos annähernd zweihundert Meter hoch - in gigantischen Eruptionen aus dem Boden hervorgebrochen. Die sechzig Meter durchmessende Wasserfontäne hatte zurückstürzend das Barkennto-Becken gebildet, einen bis zu dreißig Meter tiefen und achtzehnhundert Meter durchmessenden See. Dieses Becken hatte nicht nur die Wasserversorgung der Metropole sichergestellt, sondern vor allem den Barkennt gespeist, einen nicht minder monumentalen Strom, der sich nach wildem Lauf tausend Kilometer westlich in den Rundon-Ozean ergoss.
Der feinkörnige Staub und der Schutt hatten sich mit dem Wasser zu zähem Sud vermengt und den Geysir erstickt. Es gab keine Eruptionen mehr, deren Schauspiel zu den Naturwundern im Kreit-System zählte; die heißen Wassermassen stiegen nur noch als unaufhörlich brodelnde, wenige Meter hohe Glocke in der Mitte des verschlammten Sees empor. Ebenso träge begann der Barkennt seinen Lauf, kaum mehr als ein Schatten der ehedem urwüchsigen Naturgewalt. „Seit fünf Wochen reinigen Kläranlagen den See", sagte Subeat. „Der 'Schlamm, anfangs noch ein zäher Brei, hat sich seither merklich verdünnt. Dementsprechend transportiert der Barkennt auch wieder großes Geröll ab. Mit ersten neuen Eruptionen des Geysirs rechnen wir in den kommenden Tagen." Der Mascant gähnte unverhohlen. „Ich hoffe, Subeat, die positiven Eindrücke, die Seine Erhabenheit von Baretus gewinnt, müssen sich nicht allein auf die heiße Springquelle beschränken."
Ertrus drehte sich in 13,8 Standardstunden einmal um die eigene Achse. Gegen zwölf Uhr Ortszeit war Mascant Kraschyn zu seinem Flaggschiff zurückgekehrt - wenig später ging der Tato vor der Fensterfront seines Arbeitszimmers auf und ab und hielt alle paar Schritte inne, um gedankenversunken in die Nacht über Baretus hinauszustarren. Ein fernes Wetterleuchten kündete aufziehende Unwetter an.
Kurz vor Mitternacht lag der Stadtkern in völliger Finsternis. Keine Scheinwerfer, keine Gleiter, nicht einmal fahler Sternenschein. Als wäre dieser Teil des Planeten hermetisch abgeriegelt worden. Subeat dom Cyllken fühlte sich so aufgewühlt wie lange nicht mehr. Innerhalb lächerlicher drei Wochen waren auf Ertrus keine Wunder zu vollbringen. Auch dem Mascant musste das klar sein. Ertrus war zwar militärisch geschlagen, aber die Leidensfähigkeit der Bevölkerung hatte ihre Grenze längst nicht erreicht. Der Tato rief die Lageberichte des vergangenen Tages ab. Eine Vielzahl gefährlicher Zwischenfälle war verzeichnet, in ihrer Gesamtheit
Weitere Kostenlose Bücher