2063 - Zikanders Körper
„Bitte, posiere für mich - und wenn es das letzte Mal ist." Er nahm noch einmal die von ihm so geschätzte und von seinem Freund geliebte Position ein und ließ seine Muskeln spielen, während er die traumwandlerisch beherrschten Schrittfolgen vollführte, auf Zehenspitzen wippend, im Sprung um die Achse wirbelnd ... graziös ... majestätisch ...lasziv ... Bewunderung heischend ... und in dankbarer Demut in sich sinkend ...
Und mit einem Schrei des Entsetzens und der Qual hochfahrend im Erwachen. Die schöne Ästhetik wurde ihm rückblickend zum schrecklichen Alptraum. Denn nun war er in die Realität zurückgekehrt und musste erkennen, dass er anstatt eines makellosen Körpers ein Irgendwas aus Fleisch und Knochen besaß, wie willkürlich zusammengemixt. Er bäumte sich auf und schrie. Anders wusste er sich nicht zu helfen. Nur unterbewusst registrierte er, dass er nicht mehr in der kristallklaren Flüssigkeit schwamm.
Aber der gutmütige Riese war wieder da. Er drückte ihn mit einer siebenfingrigen Pranke sanft auf das Lager zurück und sagte mit tiefer, brummender, jedoch würdevoller Stimme: „Mein Name ist Dolmor Sing Me'Karolni. Ich bin Druide, und ich werde versuchen, dir zu helfen. Aber das geht nicht ohne deine Mithilfe." Er sank zurück, und der Druide beugte sich über ihn und saugte sich mit seinem Nasenrüssel über seiner Augenpartie fest. Das bereitete ihm ein angenehmes, wohliges Kribbeln, und er schlief wieder ein. Aber er träumte nicht. Er träumte nie wieder von seinem verlorenen Körper. Er träumte überhaupt nicht mehr. Er hatte ab diesem Zeitpunkt seine Träume verloren.
Als er wieder zu sich kam, bearbeitete ihn der Druide noch immer - oder schon wieder - mit seinem Traenii. Diesmal blieb er wach und erlebte die seltsame Therapie bewusst mit. Der Druide bereitete ihm ein angenehmes Gefühl von Wärme und Zuneigung. Er überließ sich diesem wohligen Gefühl und meinte zu schweben. Er merkte aber auch, dass es in seinem Inneren zu Veränderungen kam. Er versuchte die rätselhaften Vorgänge zu ergründen, kam aber nicht dahinter, was wirklich mit ihm geschah. Er hatte bloß den Eindruck, dass es in einem Körper - in dem Irgendwas, das nun seine leibliche Hülle war -, zu Umschichtungen kam. Es war kein vehementes Umstülpen, keine radikale Neuordnung, sondern ein einfühlsames, vorsichtiges Abtasten mit geringfügigen Verschiebungen.
Dies wiederholte sich unzählige Male. Die meiste Zeit befand er sich dabei in einem Dämmerzustand, wurde nie richtig wach, befand sich aber auch nie in Tiefschlaf. Zumindest hatte er diesen Eindruck. Es mochten etliche Rhyn vergangen sein, als er wieder einmal aufwachte. Diesmal war er allein, von dem Druiden keine Spur. Er war hellwach und fühlte sich so gut bei Kräften, dass er den Versuch wagte, von seinem Lager aufzustehen und ein paar Schritte zu machen. Aber dazu war er noch zu schwach; sofort fiel er keuchend auf sein Lager zurück. „Wo bin ich?" wollte er fragen.
Aber er brachte nur unartikulierte Laute hervor. Er hatte schon früher festgestellt, dass er seine Sprache verloren hatte. Er hatte keine Zähne im Mund, besaß keine Zunge und wahrscheinlich auch keine Stimmbänder mehr. Und er stellte fest, dass man ihm diesbezüglich immer noch nicht geholfen hatte.
Nur nicht wieder schwermütig werden, sagte er sich. Er befand sich in einem nüchternen, kahlen Zimmer, das klinische Sterilität vermittelte. Durch ein großes Panoramafenster konnte er nach draußen blicken. Das erste, was er sah, war ein graublauer Himmel mit einer rötlich schimmernden Sonne.
Die Scheibe des Fensters musste Filterwirkung besitzen, denn er konnte in die Sonne blicken, ohne geblendet zu werden. Und er sah am Himmel auch kleinere Leuchtobjekte ohne Zahl, die Sterne hätten sein können. Aber an welchem Himmel waren schon Sterne mitten am Tag zu sehen? Höchstens in der geheimnisvollen Zentrumsregion des Landes Dommrath! Hatte ihn das Legionsschiff dorthin gebracht?
Es war das erstemal seit seiner Wiedergeburt ... nein, so mochte er seinen Zustand nicht nennen ... seit seiner Erneuerung nach vielen Toden, dass er sich Gedanken über seine Situation machte. Das hätte ein gutes Zeichen sein können, aber er bezweifelte andererseits, dass es gut für ihn war, über seine Lage zu sinnieren. Er konnte nicht anders, und solange er nicht zu sehr über seine Person nachdachte, konnte das nichts schaden.
Er sah unter dem Himmel, der Sonne und Sterne nebeneinander
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