207 - Weg eines Gottes
ungefähren Winkel von fünfundvierzig Grad. Dabei zeigte das offene Türmchen, das einmal die Brücke gewesen war, nach unten.
Zwei Stunden später bestaunte der ganze Clan den sechs Meter langen, hellblau angestrichenen Schwimmkörper aus Eisen, der lediglich aus einer Plattform mit Geländer und eben dem Türmchen bestanden hatte. Daneben ragte ein mächtiger Baumstamm aus dem Eis, der Treibholz eingefangen hatte.
***
Das Dorf Mopti, auf der anderen Seite des Flusses
Daouda Sorko hüllte sich fester in seinen Kamelhaarmantel, als er vor die Tür ins Schneetreiben trat. Viel lieber hätte er in dem geschlossenen Raum, der ständig von einem Lagerfeuer gewärmt wurde, seine Frau bestiegen und sich danach besoffen. Aber Mulay war vor einigen Minuten mit der aufregenden Nachricht gekommen, dass er Fremde am anderen Flussufer gesehen hätte.
Der zweiundfünfzigjährige Schamane aus dem einst stolzen Volk der Songhai konnte es kaum glauben. Er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen. An Mulays Seite hastete er durch die engen Gässchen Moptis. Ein paar der einst zinnenbewehrten, häufig ineinander verschachtelten Lehmgebäude, die teilweise drei Stockwerke hoch gewesen waren, hatte die Druckwelle stehen lassen. Sie dienten den dreiundvierzig Songhai, die noch übrig waren, als Unterkunft.
Sorko trat an den großen Fluss. Er hob das Fernglas an die Augen, das er ebenfalls im Lagerhaus gefunden hatte. »Tatsächlich«, flüsterte er. »Da sin Menschen. Ungefähr zwansich. Se ham ‘nen Lastwagen dabei. Un Weiber, wenn ich richtig seh. Also sin doch nich alle tot.«
»Ne, sin wohl doch nich alle tot«, wiederholte Mulay einfältig und drückte die Kalaschnikow mit klammen Fingern an seine Brust. Atemfahnen stiegen in die Luft. »Wird interessant. Gibt endlich ma wieder ‘ne richtige Abwechslung.«
»So isses. Und’n Motorradfahrer hamse auch. Der kommt grad oben vom Fluss wie’n Teufel runtergedüst.«
»Wie’n Teufel runtergedüst. Un, was machense jetz?«, fragte Mulay, dem die Warterei nach einigen Minuten zu lang wurde. Weitere Songhai gesellten sich zu den beiden. Sie starrten ebenfalls vor Waffen.
»Jetz tunse alle flussaufwärts gehen«, antwortete Sorko. »Der Motorradmann hat wohl die Queen von Mopdi gesehn un das Eis. Da tun ‘se sicher rüber wechseln.«
Einige Männer lachten und veranstalteten dabei ein Festival der fehlenden Zähne.
Sorko erinnerte sich kurz zurück. Er hatte Schafe auf dem Markt in Mopti angeboten, als die Druckwelle über sie hinweggefegt war. Nie mehr im Leben würde er das grauenhafte Bild vergessen, als die stolze QUEEN OF MOPTI aus dem Wasser gehoben und viele Kilometer weit durch die Luft geschleudert worden war. Zusammen mit dem Ochsenkarren, den sie gerade transportiert hatte. Inmitten von zwei Ochsen, Ziegen, Hühnern, Menschen und Häuserteilen aus Lehm, die dieses Schicksal allesamt geteilt hatten.
Er selbst hatte nur deswegen überlebt, weil er sich zum Zeitpunkt der Katastrophe im Windschatten des einzig wirklich festen Gebäudes, der von Europäern mit Stahlträgern gebauten Lagerhalle nämlich, aufgehalten hatte.
Später waren die paar Überlebenden bei ihrem verzweifelten Herumirren wieder auf die QUEEN OF MOPTI gestoßen. Sie hatte sich mit dem Heck so fest in den Flussgrund gebohrt, dass sie dort unverrückbar feststeckte. Seltsamerweise hatte die Eisenspitze des Brückenturms während des Wirbelns einen älteren Mann aufgespießt. Fast drei Monate hatte er dort gehangen, bevor ihn einige größere Vögel bis auf die Knochen abgenagt hatten.
Das war ungefähr der Zeitpunkt gewesen, als das feststeckende Schiffswrack einen mächtigen Baumstamm eingefangen hatte. Das Treibholz hatte sich so fest verkeilt, dass es nicht mehr losgekommen war. Weiteres Holz und Treibgut hatten sich angelagert und waren bald zu einer breiten Fläche gewachsen. Auf dieser hatte sich Mitte des vergangenen Jahres zum ersten Mal Eis gebildet. Von dort breitete es sich nun kontinuierlich aus. Jeden Tag kamen einige Meter hinzu. Man konnte ihm beim Wachsen zusehen, wie Sorko zu sagen pflegte. Es hatte in diesem Bereich bereits den ganzen Fluss überzogen und bildete nun eine natürliche Brücke.
»Wir gehen hoch zur Queen und erwarten ‘se dort auf unsrer Seite«, befahl der Schamane. »Se kommen sicher rüber, weilse nach Süden wolln.«
So schnell wie möglich stapften einundzwanzig dick vermummte Gestalten den Flusslauf hoch. Sorko bemerkte drei schwarze Schemen, die
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