208 - Nach der Eiszeit
im Kristallinnern wohnte.
Die elend aussehenden Gestalten wankten währenddessen die sanfte Steigung hoch und drückten sich frierend unter einen großen, überhängenden Felsen, um Schutz vor dem eisigen Nordwestwind und dem ständigen Schneefall zu suchen. Sie alle waren fertig und mussten unbedingt einige Stunden schlafen. Ihr Gott hatte es ihnen erlaubt. Selbst die Männer suchten nun ständigen Körperkontakt, um sich gegenseitig zu wärmen, weil es inzwischen so kalt war, dass selbst die dicke Fellkleidung nicht mehr dagegen half. Die neun Frauen kuschelten sich dazwischen. Sie hatten sich längst daran gewöhnt, bei diesen Gelegenheiten ausgiebig befummelt zu werden. Etwas später kam Glele dazu.
Daouda Sorko, der Schamane, führte den Trupp an.
Offiziell zumindest. In Wahrheit verhielt es sich so, dass Mul’hal’waak sagte, was zu geschehen hatte, und Sorko dessen Befehle lediglich weitergab. Der Daa’mure trieb die Songhai nun schon seit über einem Jahr durch das immer unwirtlicher werdende Zentralafrika. Sein Geistgefäß, der grüne Kristall, war von der Familie des Franzosen Maurice Poulain in der algerischen Wüste gefunden worden. Danach hatte es ihn durch unglückliche Umstände in die malische Ruinenstadt Mopti verschlagen. Erst dort war er endlich Tagelmust losgeworden, den willensstarken Tuareg, der Poulain und dessen Sohn ermordet hatte und den er nicht beeinflussen konnte.
Während Mul’hal’waak unbedingt nach Norden wollte, um den abgestürzten Wandler zu suchen, hatten ihn Tagelmust und dessen Gruppe, auf der Suche nach wärmeren Gefilden, in den Süden geschleppt. In Mopti waren sie schließlich auf ein paar überlebende Songhai gestoßen. Der Daa’mure hatte deren Anführer Daouda Sorko beeinflussen können, ihm Tagelmust und dessen Clan vom Hals zu schaffen. Nur die Frauen hatte Sorko am Leben gelassen und seinen Songhai eingegliedert.
Danach hatte Mul’hal’waak die Songhai gezwungen, Mopti zu verlassen und ihn nach Norden zu bringen.
Auch wenn sie ihn für Hausakoy hielten, den furchtbaren Gott des Donners, waren ihm die einst stolzen Bauern und Fischer nur äußerst widerwillig gefolgt. Sie sahen nicht ein, warum sie die schützenden Ruinen am Niger, in denen es genug zu essen gab und Feuer brannten, verlassen sollten. Aber dem allmächtigen Hausakoy widersetzte man sich nicht. Das hätte unweigerlich den Tod zur Folge gehabt. [2] Seit sie bei Taoussa in den Hinterhalt einer marodierenden Bande geraten waren und dabei siebzehn Leute verloren hatten, war der Glaube der Songhai an die Allmacht des Gottes Hausakoy beträchtlich ins Wanken geraten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie in den Ruinen Taoussas zwei alte, noch fahrbereite Lastwagen gefunden hatten, von denen einer bereits wieder den Geist aufgegeben hatte.
Die meisten Songhai wären gerne wenn schon nicht in Mopti, dann in Taoussa geblieben. Dort hätten sie sich den rund einhundert überlebenden Dioula und Senoufo anschließen können, die in den Ruinen hausten.
Stattdessen waren sie weiter gezogen. Immerhin stießen sie bei Agamor auf die über zwanzig Bambara und Soninké, die seither die Gruppe verstärkten. Sie schürten den Widerstand gegen den Gott, der nicht der ihre war, zusätzlich.
»Was soll’mer hier bloß«, sagte Agadja laut und nahm zitternd einen Schluck aus der Plastikflasche mit dem aufgedruckten, lächelnden Glatzkopf. Das Flüssigwaschmittel, von dem sie eine ganze Palette voll in der Marktstadt Mopti gefunden hatten, diente einigen Männern und zwei Frauen als Alkoholersatz. Sie redeten sich ein, das Zeug würde sie wärmen. Erbrechen musste sich längst keiner mehr davon. »Ich will nach Mopti zurück, weil ich hab keine Lust mehr, dem Hausakoy zu folgen.«
»Mach mal halblang, Aga«, erwiderte Glele neben ihm. Sie war die Frau des Schamanen Daouda Sorko.
»Was der Hausakoy sagt, des mach’mer auch. Ganz klar. Er is immerhin ‘n Gott.«
»Nix is klar«, protestierte Behanzin. »Ich geb dem Aga Recht. Hör zu, Daouda, du solltest deiner Alten dringend das Maul stopfen. Wenn Männer reden, hatt’se nix zu sagen.«
»Halt’s Maul, Alte«, brummte der Schamane. »Sonst kriegste drauf.« Glele schwieg eingeschüchtert.
Widerworte bedeuteten Schläge.
»Manchmal hab ich des Gefühl, dass der Hausakoy irgendwie kein so’n richtiger Gott is«, fuhr Sorko fort.
»Nur so’n halber vielleicht. Ich möchte auch zurück nach Mopti. Hier verreck’mer doch alle.«
»Ja, hier
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