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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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meinigen; dieses Mal aber scheint meine Breite viel, viel eher zugegriffen zu haben als deine Länge. Ich weiß, welche alte Frau gemeint ist; ich weiß es ganz genau, du aber hast es nicht erraten, und – – –“
    „Ich bitte dich“, fiel ich ihm in die Rede, „die ganze berühmte Breite deines Verstandes festzuhalten, damit er dir ja nicht verlorengehe! Habe ich dich jemals mitten in dem, was du sagen wolltest, unterbrochen, ohne einen Grund dazu zu haben?“
    „Nein“, antwortete er, sichtbar frappiert.
    „Und jetzt glaubst du, in einem Wettrennen zwischen deiner Breite und meiner Länge mich überholt zu haben? Lieber Halef, erlaube, daß ich dich an deine Hanneh erinnere! Oder nicht?“
    Jetzt verstand er mich. Er sah ein, daß es den Hamawands gegenüber wahrscheinlich geraten war, uns in betreff der vermutlichen Bekanntschaft schweigsam zu verhalten, und antwortete also:
    „Ja, Sihdi, erinnere mich immerhin an sie, welche nicht nur die duftigste der Rosen, sondern auch die klügste Besitzerin der bedachtsamsten Frauenlippen ist. Sie ist jedenfalls tausendmal schöner und jünger als diese alte Christin, deren Antlitz als das Angesicht des Todes beschrieben wird!“
    Der Kurde, welcher nicht wußte, was mit unserm kurzen Redewechsel gemeint gewesen war, ergriff diese Gelegenheit, beschreibend fortzufahren:
    „Ja, sie soll das Aussehen einer aus dem Grab zurückgeholten Leiche haben. Vielleicht hat sie sich auch wirklich schon im Grab befunden und ihre Seele ist während dieser Zeit bei den Geistern der Abgeschiedenen gewesen und dann wieder in den Körper zurückgekehrt, denn sie weiß von jenem Leben zu sprechen, als ob sie es kennengelernt hätte, und kann Dinge sehen und hören, welche andern Sterblichen streng verschlossen sind.“
    „Das klingt ja außerordentlich!“ warf ich im ungläubigen Ton ein, um ihn dadurch zu weiteren Mitteilungen, die ich wünschte, aufzustacheln.
    „Es klingt nicht nur so, sondern es ist auch wirklich so, Effendi!“ beteuerte er.
    „Daß sie überirdische Dinge hört und sieht?“
    „Ja. Oder hältst du Mogizat (Wunder) für unmöglich?“
    „Gott tut täglich Wunder!“
    „Allah nicht allein, sondern sie werden auch von Menschen verrichtet. Mohammed, der Prophet aller Propheten, war doch auch Mensch und hat viele, viele Wunder getan. Und von euerm Isa Ben Marryam (Jesus, Mariens Sohn) erzählt man sich dasselbe; er soll auch viele Wunder getan haben, obgleich sie nicht an die großen, herrlichen und erhabenen unsers Mohammed reichen.“
    „Du irrst. Zwar wollen wir uns nicht über religiöse Dinge und Personen streiten, aber Christus hat gesagt: ‚Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!‘ Und daß er diese Macht wirklich besaß, hat er durch seine Wunder bewiesen –“
    „So glaubst du, daß er höher stehe als Mohammed?“
    „Ja.“
    „So müßte auch El Kuds (Jerusalem), die heilige Stadt der Christen, höher stehen als Mekka, die wir verehren!“
    „Wollen wir uns wegen des Ranges zweier Städte bekämpfen?“
    „Nein; aber El Kuds hat nur den einen Vorzug, daß dort das Gericht des Jüngsten Tages abgehalten wird; sonst aber steht Mekka unendlich höher, weil sich dort, wie du weißt, die heilige Kaaba befindet.“
    Ich lasse mich nicht gern in unnütze religiöse Gespräche ein, denn es fehlt zu den da aufgestellten Behauptungen meist die Zeit, die dazugehörigen Beweise zu bringen; selten aber versäume ich eine Gelegenheit, wie die jetzige war, ein Streiflicht auf den eigentümlichen Umstand zu werfen, daß es in der Lehre und in den Traditionen des Islam Stellen gibt, durch welche das Christentum höher gestellt wird als der Mohammedanismus. Es gewährt mir dann immer ein heimliches Vergnügen, bemerken zu können, wie stutzig es den Moslem macht, so etwas anhören zu müssen, ohne daß er zu widersprechen vermag. So sagte ich auch jetzt:
    „Was den Ort betrifft, an welchem das Jüngste Gericht abgehalten wird, so gibt es bei den Mohammedanern zwei verschiedene Annahmen, die sich widersprechen. Nach der einen wird Christus an diesem Tag vom Himmel auf die Moschee der Ommajjaden zu Damaskus niedersteigen, um von da aus einem jeden Lebenden und Toten sein Urteil zu sprechen. Also Christus wird das tun, nicht Mohammed; das sagt eure eigene Religion. Wer steht da höher?“
    „Effendi, hierauf kann ich nicht sogleich antworten, das muß ich mir erst überlegen.“
    „Gut, denke darüber nach! Und nach der andern Anschauung

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