21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Leute. Wir sind unserm Heer vorangeritten als Führer und ‚scharfe Augen‘, denen die andern in sicherer Entfernung zu folgen haben.“
Es trat eine Pause ein, während welcher ich nichts sagte, weil mir diese Angelegenheit zu denken gab. Darum fragte Adsy nach einer Weile:
„Du schweigst. Du bist ein abendländischer Krieger und denkst also nicht so wie wir über das, was hier geschieht. Hat vielleicht etwas von dem, was ich gesagt oder getan habe, deine Zustimmung nicht?“
„Ich bin mit den dreihundert Hamawands nicht einverstanden. Verzeih, daß ich dies sage!“
„Aus welchem Grund bist du dagegen?“
„Kaum habt ihr die Blutrache zum Schweigen gebracht, so unternehmt ihr einen Zug, durch welchen der Haß und die Rache sehr leicht zu noch viel höher lodernden Flammen entfacht werden könnten als vorher. Das ist es, was ich auszusetzen habe.“
„Es ist das jetzt noch kein Kriegszug, kann aber einer werden. Wenn die Dawuhdijehs unsere Forderung erfüllen, Schevin und seine Begleiter herauszugeben, ziehen wir friedlich wieder heim.“
„Wißt ihr, warum sie ihn zurückgehalten haben? Kann er nicht etwas unternommen haben, womit er ihnen Grund zu diesem ihrem Verhalten gegeben hat?“
„Das werden wir erfahren. Wir sind zum Frieden, aber auch zum Kampf bereit. In beiden Fällen würden wir es als die von Allah gesandte Hilfe betrachten, wenn Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sich bei uns befänden.“
„In beiden Fällen?“
„Ja.“
„Wieso?“
„Wenn ihr euer Wort in die Waagschale des Friedens legt, wird es mehr gehört, als wenn wir alle sprächen. Und wenn es trotzdem zum Kampf käme, so würden deine Zaubergewehre, von denen wir schon so oft und so viel gehört haben, allein hinreichen, uns zum Sieg zu verhelfen. Ich bitte dich also sehr, Effendi, an diesem unserem Zug teilzunehmen!“
Aha! Sehr klug! Da ich aber doch nicht so gradheraus sagen konnte, was ich über diese naive Zumutung dachte, antwortete ich in ablehnender Weise:
„Die Erfüllung deines Wunsches würde uns ein Vergnügen bereiten, welches für uns gewiß stets eine schöne Erinnerung wäre; aber leider haben wir keine Zeit dazu.“
„Keine Zeit – – –?“ warf mir Adsy im Ton des größten Erstaunens entgegen, denn der Orientale hat ja immer Zeit; er besitzt nicht das mindeste Verständnis für den Wert, den jede einzelne Lebensstunde für den Menschen haben soll und auch wirklich hat.
„Ja, keine Zeit!“ wiederholte ich. „Wir sind schon bei den Bachtijaren länger geblieben, als wir wollten – – –“
„Was ihr für diese tatet, könnt ihr auch für uns tun!“ fiel er ein.
„Wir werden von Freunden in Bagdad erwartet –“
„Sie mögen warten!“
„Auch haben wir vor, von Bagdad nach Basra nicht zu reiten, sondern mit dem Schiff zu fahren – – –“
„Es mag warten!“
„Das wartet nicht, sondern fährt pünktlich ab.“
„So fährt später ein anderes! Kein Mensch stirbt eher, als Allah will, und ihr kommt keinen Augenblick früher oder später nach Basra, als es euch im Buch des Lebens vorgeschrieben ist!“
„Du denkst nicht daran, daß ich kein Moslem, sondern ein Christ bin. Ich habe also in Beziehung auf das Kismet einen ganz andere Meinung als du.“
„Ich halte unsern Glauben für besser als den deinigen, obgleich ich diesen nicht kenne; aber kluge Leute scheint ihr doch zu sein, denn die alte Frau, welche die Wunde unseres Knaben heilen soll, ist auch eine Gläubige des Propheten aus Nasirah (Nazareth).“
„Eine Christin? Etwa aus dieser Gegend?“
„Das weiß ich nicht, aber man sagt, sei sei hier fremd. Sie soll so alt sein, daß man ihre Jahre gar nicht zählen kann. Ihr Antlitz ist das Angesicht des Todes, und die Zöpfe ihres langen, weißen Haares scheinen aus der Zeit zu stammen, in welcher Mohammed, der Prophet Allahs, noch auf Erden wandelte.“
Kaum hatte der Kurde diese Worte gesagt, so rief Halef mit vor Überraschung lauter Stimme:
„Sihdi, Sihdi, hast du es gehört? Hamdullillah, wir sehen sie wieder, sie, die wir längst im Landes des Todes wähnten! Diese alte Frau ist nämlich – – –“
„Still!“ unterbrach ich ihn, ehe er den Namen aussprechen konnte.
„Still? Warum soll ich still sein, warum soll ich schweigen, wenn die Freude mir im Herzen wohnt? Du verstehst mich nicht; du weißt nicht, wen ich meine. Wenn es gilt, etwas zu erraten, so reicht die Länge deines Verstandes gewöhnlich weiter als die Breite des
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