21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
folgte. Unsere Namen waren diesen Leuten allen bekannt; das sahen und das hörten wir. Sie brachten uns eine Achtung entgegen, von welcher Halef sich sehr wohltuend berührt fühlte; er nahm einen passenden Augenblick wahr, mir unbemerkt von ihnen zuzuflüstern:
„Effendi, merkst du auch, was für einen Respekt diese Hamawands vor uns haben? Richte dich gerade auf, und tu so stolz wie möglich! Wir müssen ihnen zeigen, was für eine Ehre es für sie ist, mit so hochberühmten Kriegern zusammenzutreffen, wie wir beide sind!“
Diese Kurden waren durchgängig sehr gut beritten und auch, wenigstens nach dortigen Verhältnissen, zufriedenstellend bewaffnet. Wir hörten, daß sie dem erwarteten Zusammentreffen mit den Dawuhdijehs mit Zuversicht und ohne alle Furcht entgegensahen, denn sie waren überzeugt, daß sie diese Gegner vollständig überraschen würden. Darum fühlten sie sich enttäuscht, als ihnen Adsy mitteilte, was ich gestern abend über diesen Punkt gesagt hatte. Es wurde mit den – wenn ich mich so ausdrücken darf – Chargierten von ihnen eine kurze Besprechung abgehalten, an welcher wir uns auch beteiligten, und das Ergebnis war, daß meine Ansicht als die richtige erklärt und zur Befolgung angenommen wurde. Die Dreihundert blieben hier. Sie hatten vorsichtshalber Posten auszustellen und jede in ihre Nähe kommende Person bis zu unserer Rückkehr oder bis zum Eintreffen einer Nachricht von uns festzuhalten. Sie selbst aber hatten natürlich sehr strenge Weisung, sich nicht sehen zu lassen. Man wußte, daß die Dawuhdijehs die jetzigen Lagerplätze der Hamawands genau kannten und daß es nach der Gliederung des Gebirges einen bedeutenden Umweg erfordert hätte, eine andere Richtung als die durch das Nebenflußtal, in welchem wir uns befanden, einzuschlagen. Es stand also mit Gewißheit zu erwarten, daß die Dawuhdijehs ihre auf den Angriff oder nur auf die Verteidigung gerichtete Aufmerksamkeit nach dieser Gegend lenken würden, was mich aber nicht abhielt, den Hamawands zu sagen, daß sie trotzdem auch nach rückwärts zu schauen hätten, da die Möglichkeit einer heimlichen Umgehung auch in Betracht zu ziehen sei.
Nach diesen und noch einigen andern nicht besonders zu erwähnenden Vorbereitungen traten wir unseren heutigen Ritt an. Unter diesem Wir sind natürlich die sechs schon gestern von uns getroffenen Kurden, Halef und ich gemeint. Der Hadschi lächelte still vor sich hin. Als ich ihn nach der Ursache fragte, sagte er:
„Sihdi, wenn es wirklich ein Kismet gibt, was ich aber, seit ich dich kennengelernt habe, nicht mehr glaube, so hat nicht nur das deinige, sondern ebenso auch das meinige wenigstens zehntausend Spannfedern im Leib. Das kommt nie zur Ruhe und läßt auch uns nicht zur Ruhe kommen! Und dieser Leib mit den Spannfedern ist aus Gomelastik gemacht. Das steht nicht fest; das hat keinen Halt; das bleibt nie so, wie es ist. Das hüpft und springt nur immer hin und her; das rollt und kugelt sich bald hierhin und bald dorthin, und wir werden mitgekugelt und mitgerollt. Gestern waren wir überzeugt, direkt nach Bagdad zu reiten; heut suchen wir einen Kulluk, der ganz woanders liegt. Wohin wird diese Gomelastik uns morgen schicken? Aber ich sage dir, ich habe das gern, sehr gern; es gefällt mir außerordentlich!“
Er hatte nicht so ganz unrecht, wenn auch seine Porträtierung des Kismet etwas idealer hätte sein können!
Es verstand sich ganz von selbst, daß wir nicht beabsichtigten, dem Bach immerfort zu folgen, denn das hätte uns den Dawuhdijehs grad in die Arme geführt. Adsy kannte, wie er versicherte, die Gegend, in welcher der Kulluk lag. Nach seiner Meinung hatten wir bis ungefähr zum Mittag in der jetzigen Richtung zu bleiben und uns dann aber rechts in die Berge zu wenden, über welche die nach dem Turm gehende Luftlinie führte. Was wir da unterwegs für Terrain haben würden, das wußte er freilich nicht; vorauszusehen war, daß es kein bequemes sei.
Unsere Begleiter waren wohl auch gewöhnt, auf solchen Kundschafterwegen, wie unser heutiger war, vorsichtig zu sein, aber die außerordentliche, sozusagen spitzfindige Art der Bedachtsamkeit, welche ich mir bei den Indianern angeeignet hatte, welche jeden Grashalm, jeden Lufthauch in Berechnung zieht, die kannten sie nicht. Selbst Halef, der mich in dieser Beziehung doch unzähligemal beobachtet hatte, war nicht geschickt, eine Späheraufgabe zu übernehmen, deren Lösung jedem erwachsenen Indianer leicht geworden
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