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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wäre. Der Hadschi hatte das zu unserem Nachteile schon wiederholt bewiesen.
    Ich konnte mich also nur auf mich selbst verlassen, und indem ich voranritt, hatte ich die Augen überall und ließ mir nicht das geringste, was zu beachten war, entgehen. Dabei fand ich immer auch Zeit, Adsy, welcher neben mir ritt, meine Aufmerksamkeit zu schenken. Gestern, als ich ihn zuerst sah, war es schon nicht mehr ganz hell gewesen, und seine Begleiter hatten meine Augen von ihm abgelenkt, so daß eine genaue Betrachtung nicht möglich gewesen war; dennoch hatte ich schon da einen eigenartigen Eindruck von ihm bekommen. Jetzt nun, wo ich ihn an meiner Seite hatte und es heller Tag war, gewann dieser Eindruck an Deutlichkeit. Der Sitz, die Haltung und alle Bewegungen des Kurden deuteten darauf hin, daß er ein gewandter, wohlgeübter Reiter sei. Er machte den Eindruck körperlicher Kraft und geistiger Energie; er war ein Mann. Und doch, wenn ich sein Gesicht zwar heimlich, aber scharf betrachtete, wurde es mir schwer, ihm das Prädikat Mann zu lassen. Diese schmale, niedrige Stirn, aus welcher der Turban zurückgeschoben war, diese sanfte Rundung der Wangen und des Kinns, die Bartlosigkeit und Fülle der Lippen und vor allen Dingen der, wenn er sich unbeobachtet wähnte, seelisch weiche Blick des großen Auges, das alles war ganz und gar nicht männlich, sondern ausgesprochen weiblich, trotz aller Tatkraft, welche sich auch auf diesem Gesicht aussprach. Auch die Stimme lag zwar tief und hatte einen sehr bestimmten, befehlenden Ton, klang aber doch nicht so wie eines Mannes Stimme. Dazu kam ein leichter Schatten an den Rändern der Augenlider und die stumpfe, wie gebeizte Färbung der langen Wimpernhaare. Das deutete auf die Gewohnheit der morgenländischen Frauen, ihre Wimpern mit Khol (Antimon, Collyrium) dunkel zu färben, um dem Auge mehr Glanz und scheinbare Größe zu verleihen. Jetzt war dieser Farbstoff weggewaschen, wodurch die Wimpern das unbestimmte, stumpfe Aussehen bekamen.
    Hierdurch veranlaßt, schenkte ich nun auch dem Körper dieses Kurden mehr Aufmerksamkeit als bisher. Die Hand war eine Frauenhand, und nun sah ich auch im Innern derselben die Spur der Hennafarbe, welche nicht zu entfernen gewesen war. Nun war ein weiterer Blick auf die Gestalt gar nicht nötig, um überzeugt zu sein, daß es kein Mann, sondern eine Frau war, welche da an meiner Seite ritt.
    Und sobald mir dieses klargeworden war, wußte ich auch sofort, wer sie war. Der damals bedeutendste Anführer der Hamawands, berühmter noch als selbst der bekannte Häuptling Hussein Aga, war der Scheik Jamir, welcher zwar von ganz gewöhnlichen Eltern stammte, sich aber durch seine glänzende Tapferkeit und sonstigen kriegerischen Eigenschaften zu solcher Anerkennung und Macht emporgearbeitet hatte, daß eigentlich er der oberste Befehlshaber und die Seele jedes Unternehmens seines Stammes war. In diesem Streben nach oben stand er nicht allein; er hatte in seiner ungewöhnlich begabten Frau eine rastlose Gehilfin und treue, mutige Kameradin, welche ihn in allen seinen Unternehmungen unterstützte und begeisterte und selbst im Kampf nicht von seiner Seite wich. Nichts ehrt der Kurde mehr als Tapferkeit, und wenn bei ihm schon die Frau im gewöhnlichen Sinne mehr Achtung und größere Freiheiten genießt als bei den andern Orientalen, so ist es wohl begreiflich, daß diese Frau Jamirs in einem für den Orient mehr als ungewöhnlichen Ansehen stand. Kein Hamawandi hätte es gewagt, einem ihrer Befehle den geforderten Gehorsam zu verweigern. Man wußte, daß sie solchen Widerstand noch strenger als ein Mann bestrafen würde.
    Es stand bei mir außer allem Zweifel, daß ich diese seltene Frau jetzt an meiner Seite hatte, und nun ich das wußte, erhielt der jetzige Ritt in meinen Augen einen ganz andern Inhalt und einen ganz andern Charakter. Also darum hatte sie sich den Namen Adsy (namenlos), beigelegt! Es verstand sich ganz von selbst, daß Schevin, dessen Bruder sie sich geheißen hatte, kein anderer als Jamir selbst, ihr Mann, war. Und Khudyr, der vergiftete Knabe, war ihr beiderseitiger Sohn. Nun verstand ich auch die Pseudonymität dieses Schevin, der durch diesen Namen, welcher soviel wie Hirte bedeutet, sich als einen einfachen, ungefährlichen und friedfertigen Schäfer hinstellen wollte. Allerdings war dazu unbedingt erforderlich, daß es unter den Dawuhdijehs keinen gab, der ihn persönlich kannte und seinen eigentlichen Namen verraten konnte. Wie es

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