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21 - Stille Wasser

21 - Stille Wasser

Titel: 21 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura A. Gilman , Josepha Sherman
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war.
    Kopfschüttelnd wandte sich Joyce wieder ihrem Spätfilm zu.

    Dr. Lee starrte angespannt auf den Bildschirm seines Computers und tippte sich mit dem Finger ununterbrochen gegen die Lippen. Blaue, grüne und schwarze Wirbel bildeten vor seinen Augen ein Wirrwarr aus endlosen Spiralen und Kreisen, eine beeindruckende Demonstration vermeintlicher Herrschaft des Menschen über die Natur.
    Oder wenigstens der Illusion von Herrschaft, dachte er missmutig.
    Seufzend stieß er sich von seinem Schreibtisch ab. Die Landmassen des Planeten waren vollständig kartografiert und vermessen, jeder Kontinent von Satellitenaufnahmen entzaubert und übersät mit den Spuren moderner Zivilisation. Die wenigen Rätsel, die es für die Menschheit noch zu lösen galt, würden bald der Vergangenheit angehören. Heute noch verborgenes Wissen lag in greifbarer Nähe.
    Doch mehr als drei Viertel der Erdoberfläche waren von Wasser bedeckt. Dort, dort gab es sie noch, die wahren Herausforderungen, die unentdeckten Mysterien und Phänomene, die seit Menschengedenken darauf warteten, eines Tages erforscht zu werden. Unermessliche Wassermassen vereinten sich zu gigantischen Ozeanen, ungerechnet der zahllosen Flüsse und Seen, aus denen sie sich nährten. In den Tiefen der See gab es eine andere Welt, exotisch und fremd, voll von grellem Lärm und nachtschwarzer Stille, und trotz aller viel gepriesenen Errungenschaften des menschlichen Fortschritts war sie ungezähmt und noch relativ intakt.
    Sie war unbarmherzig, diese Welt, unbarmherzig und grausam, vor allem gegenüber denen, die in ihren unergründlichen Tiefen nichts zu suchen hatten.
    Lee beugte sich vor, um den Monitor auszuschalten, und verharrte einen Moment in dieser Stellung, die Finger auf der Bildschirmfläche.
    »So grausam«, wiederholte er beinahe flüsternd.

    Etwas erwachte – tief im Meer vor Kaliforniens Küste, weit unterhalb der niemals ruhenden Strömungen der See. Etwas, das seine langen Arme und Beine ausstreckte, seine großen Klauenhände öffnete und, stetig schneller werdend, nach oben strebte, als würde es mit schlafwandlerischer Sicherheit auf ein entferntes Ziel zusteuern. Es durchbrach die Wasseroberfläche, stieß ein hartes Keuchen aus, als sich seine Atemorgane der Luft anpassten, und blickte sich nach allen Seiten um. Im matten Licht des Mondes, das sich auf den Wellen spiegelte, sah es beinahe aus... wie ein Mensch.
    Ein Fisch schwamm vorbei und musste seinen Leichtsinn teuer bezahlen. Kaum hatte ihn die Kreatur entdeckt, stürzte sie sich auf ihn, schnappte ihn mit ihren Klauen und schlug ihre kräftigen Kiefer hinein...
    Voller Ekel spuckte sie den Happen wieder aus. Vergiftet! Verdorben von der gleichen Fäulnis, die auch schon all die anderen Fischgründe zerstört hatte.
    Genug, dachte sie voll Zorn. Zu viel. Und zu lange schon.
    Die Kreatur tauchte wieder ab, presste die Luft heraus und Kiemen übernahmen erneut die Sauerstoffversorgung, als sie tiefer in die von Menschenhand unberührten Meeresgefilde sank, in denen es noch klares und sauberes Wasser gab.
    Kommt her, rief sie in der stillen Sprache der See, so hochfrequent, dass kein menschliches Ohr sie zu hören vermochte. Kommt alle her zu mir.
    Andere ihrer Art kamen herbeigeschwommen, wie Schatten, deren Silhouetten vage an die Umrisse von Menschen erinnerten. Doch kein Mensch hatte jemals solches Haar besessen, das wie Seegras, von unsichtbarer Strömung bewegt, den Kopf umwogte, kein Mensch jemals eine solche Haut, die ein Kleid war aus graugrünen Schuppen.
    Und kein Mensch hatte jemals über solch spitze und scharfe Raubfischzähne verfügt.
    Brüder, richtete die Kreatur das Wort an ihre Sippenmitglieder. Es gibt neue Beute für uns.
    Schiffbrüchige?, fragte eine andere begierig. Treibende Körper, salzig und süß?
    Hier gibt es keine Schiffe, erwiderte eine dritte und ließ frustriert ihre Zähne aufeinander schlagen. Dies ist ein elendes Jagdgebiet! Wir haben unseren Hunger mit Fischen gestillt, immer nur mit Fischen, schon viel zu lange – und jetzt haben wir nicht einmal mehr davon genug! Ein Jäger sollte so nicht leben!
    Die anderen in der Gruppe bekundeten nickend ihre Zustimmung.
    Merrows, die finsteren Verwandten der Meerjungfrau, ernährten sich vornehmlich von Fleisch und von Blut, verschlangen Fische wie Seehunde, doch am liebsten, falls sie ihrer habhaft werden konnten, fraßen sie Menschen. Seitdem die Menschheit begonnen hatte, die Meere zu befahren, waren sie ein

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