210 - Unter dem Vulkan
war, hatte Maggie Reillys zuckersüße Stimme ihn verzaubert, nicht zuletzt auch deswegen, weil er sich immer gefragt hatte, wer der Mann war, dessen Tod durch eine Kugel sie besang. Eve, seine Mutter, hatte gemeint, es ginge um John Lennon: Ein junger Mann in religiösem Wahn hatte ihn einige Monate nach Matts Geburt in New York erschossen.
Auch heute spürte er den wohligen Schauer beim Klang von Maggies Stimme. Hier, im kalten Vakuum des Alls, in dem er schwebte, war sie das einzig Schöne. Die Erde war so fern. Die Sterne wirkten aus der Nähe betrachtet feindlich. Matt nahm ihre Emission wie eine Abfolge von Tönen auf: Aus Maggies hellem Gesang wurde ein dumpfer Gregorianischer Chor.
Stand die Zeit still?
Nein, es waren ganz normale Stimmen. Jemand erwähnte Legionäre, die man in ein unterirdisches Labyrinth verfolgt hatte; ein anderer sprach von blutigen Kämpfen gegen riesige weiße Würmer und den Einsturz eines Stollens, der sie unter der Erde festgehalten hatte. Die Worte waren bizarr, doch ihre Weltlichkeit drang durch die Pein in Matts Hirn ein, knipste die Sterne aus und machte ihm klar: So schön es vielleicht auch wäre, Commander – aber Sie schweben nicht im All. Jemand hat Ihnen mit einem stumpfen Gegenstand auf die Nuss gehauen. Sie sind gerade im Begriff, aus einer Ohnmacht zu erwachen. Damit es nicht allzu weh tut, sollten Sie sich nicht abrupt bewegen.
Und am besten tust du so, als wärst du weiterhin besinnungslos, dachte Matt. Dann hat nämlich niemand einen Grund, dich zu foltern oder dergleichen.
Der Boden wankte unter ihm. War die Roziere etwa schon…? Er riskierte ein Auge.
Er lag auf dem Bauch. Seine Wange drückte sich an Holz.
Ja, der Boden bewegte sich wirklich. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Weil seine Nase nun mörderisch anfing zu jucken, rieb Matt sie am Holz, wobei er sorgfältig darauf achtete, keine Geräusche zu verursachen.
Irgendetwas schlug rhythmisch gegen seine Stiefelsohlen.
Als er den Kopf vorsichtig drehte, schaute er in Rulfans Gesicht. Er wirkte wie jemand, der nach langer Krankheit wieder genesen war: Sein Blick war klar – und wütend. Dies lag bestimmt nicht zuletzt an dem Knebel, der ihn – aus welchem Grund auch immer – am Sprechen hinderte.
Der Blick nach hinten machte Matt aber noch anderes klar: Die Nacht war vorbei. Es war heller Tag. Rulfan und er befanden sich in einem abgetrennten Abteil, das der Lagerung von Fracht vorbehalten war. Kisten und Kästen, Kessel, Säcke, volle Netze und Flaschenregale türmten sich um sie herum auf.
Rulfan hatte das Glück, auf einem Hocker zu sitzen, doch auch seine Hände waren auf den Rücken gebunden.
»Mo-mli-Lal-mlira?«, fragte Matt mit schwerer Zunge.
Rulfans Antwort klang noch komischer, aber seine Kopfbewegung sagte: vorn.
Matt ließ den Kopf wieder sinken. Sein Schädel schmerzte, sein Veilchen juckte. Er war so übel gelaunt wie lange nicht mehr. Er hatte große Lust, irgendeinem Lumpen ohne vorherige Gerichtsverhandlung in den Hintern zu treten.
Als er Rulfan fragen wollte, wo sie seiner Einschätzung nach waren, hörte er vor ihrem Verschlag jemanden auf Französisch rufen: »Kilmaaro-Fosse in Sicht! Alle Mann auf Landeanflug vorbereiten!«
Kilmaaro-Fosse? Waren sie schon am Kilimandscharo? Wie lange war er besinnungslos gewesen? Bedeutete Fosse nicht so was wie Schacht?
Matt befürchtete das Schlimmste. Er riss sich zusammen.
Hob den Kopf. Waaah! Er ignorierte die Schmerzen, drückte seinen Rücken an die Wand und richtete sich langsam auf. Er musste auch diesen Schmerz ignorieren. Als er an der Wand lehnte, nuschelte er: »Rutsch vom Hocker, setz dich neben mich… Mach meine Beintasche auf.«
Rulfan verdrehte die Augen. Die Roziere sackte in die Tiefe und drehte sich wie ein Kreisel.
Ein Luftloch?
Ein kollektiver Aufschrei der Besatzung.
Matt konnte Almiras Stimme ausmachen. Irgendwo fiel eine Kiste um und enthüllte ein kleines Bullauge. Helles Sonnenlicht brannte sich in sein Hirn. Als er wieder sehen konnte, fragte er sich, was Rulfans Grimassen bedeuteten.
Dann folgte er dem Blick seines Freundes und sah seine offene Beintasche.
So ein Dreck. Matt stöhnte auf. Der Laser war natürlich weg. Wer hatte ihn sich unter den Nagel gerissen?
Dann wurde es so plötzlich dunkel, dass sie vor Schreck zusammenzuckten. Beide hoben den Kopf. Das Bullauge zeigte eine pockennarbige Felswand. Was, zum…?
Das Triebwerk der Roziere zischte und pfiff. Cadiz rief Kommandos,
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