2119 - Der letzte Sturm
erloschen.
„Wir müssen hier weg!", drängte Ailey wieder. „Wir müssen weg, bevor Schlimmeres passiert!"
„Ohne Benjameen und sein Orientierungsvermögen in den Pararealitäten haben wir keine Chance", wiederholte Tess. „Wenn er uns nicht führt, werden wir möglicherweise nicht nur entdeckt, sondern uns in den pararealen Strömungen auf diesem Kontinent sogar verlieren."
„Oje", sagte Ailey mit erstickter Stimme. „Das heißt, wir sind verloren. Wir werden nie wieder nach Kaza zurückkommen. Wir haben gefrevelt - und nun bekommen wir unsere Strafe."
„Hör auf mit dem Unsinn!", rief Tess. „Morgen werde ich aussteigen und mich dort unten im Tal umsehen. Vielleicht kann ich einige Valenter belauschen."
„Nein!", begehrte Ailey auf. „Die Messerwerfer werden dich töten!"
„Ich bin für sie unsichtbar, hast du das vergessen? Und außerdem werde ich mich irn Schutz eines Deflektorfelds bewegen."
„Was soll ich machen?", jammerte Ailey. „Was soll ich nur tun? Ich bin von Toten und Halbtoten umgeben.
Denn wenn du an deiner Absicht festhältst, bist auch du schon tot."
„Keine Diskussion mehr", sagte Tess hart. „Und Norman wird mich begleiten."
„Ihn willst du mir auch noch wegnehmen?", zeterte der Maschinist der RICO.
„Es muss sein, Ailey. Ich habe meine Gründe dafür."
Normans Rüssel griff nach dem nächsten Brocken Sumbai. Eshmatay Amgen, der alte Fährmann, sah mit einem geöffneten Auge zu. Sein Kopf ruhte halslos auf dem voluminösen Leib mit den zwei starken Armen und Beinen.
„Eshmatay!", rief Tess, als sie es sah. „Bist du wach? Kannst du mich hören?"
Aber das Augenlid des Fährmanns klappte wieder nach unten. Er gab keine Antwort. Er wartete auf den Tod.
Aus seiner rechten Brusttasche sprang Cip, sein Maskottchen, heraus und vollführte auf dem Kartentisch herrliche Kunststücke, der Inbegriff blühenden Lebens. Aber Cip pfiff nicht mehr. 6. Dezember 1311 NGZ Am anderen Tag, nach einer qualvollen, einsamen Nacht, machte Tess ihre Absicht wahr. Sie hatte die ganze Zeit über neben Benjameen gelegen, ihren Arm auf seiner flach atmenden Brust. Sie hatte auf den Arkoniden eingeredet, leise, um seinen Traum nicht zu stören. Und wie erwartet hatte er ihr nicht geantwortet.
Jetzt stand sie aufrecht in ihrem Schutzanzug und machte sich bereit, die Gondel zu verlassen. Norman war bei ihr, ebenso Ailey.
„Ihr dürft mich nicht auch noch im Stich lassen", flehte der dürre Maschinist. „Was soll ich denn ohne euch tun? Die Geister dieses Kontinents werden mich umbringen!"
„Dir wird nichts geschehen, solange du stillhältst, Ailey", antwortete Tess. „Wir sind bald wieder zurück. Achte auf Benjameen und auf Eshmatay! Sobald einer von ihnen erwacht, gibst du mir Bescheid."
„Bescheid?", fragte er entgeistert. „Wie denn? Hier funktioniert kein Funk mehr."
Tess hatte es fast vergessen. So, wie es keinen Funkkontakt nach Kaza und der Gruppe Rhodan mehr gab, gab es auch keine Verständigungsmöglichkeit hier auf Sikma. Sie waren abgeschnitten, verloren.
„Wir sind bald wieder zurück", wiederholte die ehemalige Mutantin. „So lange musst du es allein aushalten, Ailey."
„Aber warte! Du hast ja keine Ahnung, in welche Gefahren du dich begibst!", rief er. „Nur hier in der RIGO bist du sicher! Du riskierst dein Leben - noch schlimmer, deinen Verstand! In den pararealen Strömungen, wie du das genannt Hast, wirst du untergehen! Bleib hier, Tess, bleib bei mir. Ich will nicht allein bei zwei Halbtoten bleiben!"
„Dann komm mit!", sagte Tess.
„Nein, nur das nicht! Lieber würde ich ..."
„... endlich den Mund halten, oder? Ich sage es nur noch einmal: Wir werden bald wieder zurück sein.
Ich will zu dem Becken gehen und sehen, was wirklich darin lebt! Und jetzt geh mir aus dem Weg!"
Ailey schob sich zur Seite und ließ sich in den freien Stuhl sinken. Er legte den Kopf in beide Hände und murmelte etwas Unverständliches. Tess wusste aber, dass es eine Anklage gegen sie war.
Sie hob die Schultern und gab Norman ein Zeichen. Inzwischen wusste sie, wie die Tür der Gondel geöffnet wurde. Beide stiegen aus. Eine primitive Rampe fuhr aus und ließ sie den steinigen Gipfel betreten. Die Luft war dunstig, der Sturm tobte weiter. Er schien den ganzen Planeten zu umfassen.
Wenigstens regnete es nicht mehr, und die Hyperphänomene am Himmel hatten ebenfalls nachgelassen.
„Wir scheinen Glück zu haben, Norman", sagte Tess, als sie ihren Deflektorschirm aktivierte.
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