2132 - Der Saltansprecher
ihm ab und ihrem Sohn zu. „Siehst du das?", fragte sie und zeigte auf die große Bühne, die man in der Mitte des Festplatzes aufgebaut hatte.
Trotz des ständigen Regens war sie nicht überdacht, und die schwarzen Festtagsroben des Komitees der Neun glänzten nass. Sie standen allein auf der Bühne, der Rest des Dorfes - rund fünfzig Pfauchonen - hielt sich in geordneten Reihen davor auf. Sie hatten eine Gasse frei gelassen, in der die Schulabsolventen aufgeregt und nervös miteinander tuschelten. Im Gegensatz zu Tieger, der sich einfach nur über die Aufmerksamkeit freute, verstanden sie, was ihnen bevorstand. „Du stellst dich neben Zek", fuhr Lemna fort, „und wenn Sebor deinen Namen aufruft, gehst du auf die Bühne und tust genau, was er sagt. Glaubst du, das kannst du allein tun?"
„Ja." Jetzt wirkte auch Tieger eingeschüchtert. Vorsichtig löste sich Rufas aus dem Griff seiner Hand. „Wenn du Angst bekommst", sagte er, „schau einfach zu uns. Wir sind die ganze Zeit hier."
„Ja."
Tieger ging langsam auf die Gasse zu. Ein paar Zuschauer bemerkten ihn, die meisten waren jedoch viel zu sehr damit beschäftigt, eine kleine Prozession anzustarren, die sich an den Absolventen vorbei der Bühne näherte. Rufas zählte neun Pfauchonen, die mit gesenkten Köpfen durch den Regen gingen. Acht von ihnen bildeten eine Zweierreihe, der neunte - ein Junge, der einige Jahre älter als Tieger zu sein schien - war allein. Er ging barfuss, sein Kopf war geschoren, und das einfache weiße Gewand war so dünn, dass es vom Regen durchnässt an seinem Körper klebte. Wie die anderen auch gehörte er zu den einfachen Pfauchonen, was ihn in der Mitte der Propheten schmal und zwergenhaft wirken ließ. „Ich wusste nicht, dass heute ein Saltan gesetzt wird", sagte Lemna. „Und dann auch noch so früh bei diesem Jungen." Rufas neigte den Kopf. „Es ist eine große Ehre für die Absolventen, dass Sebor diesen Moment mit ihnen teilt." Er machte eine kurze Pause und lächelte. „Natürlich tut er das nicht wegen der Ehre, sondern um ihnen einzuschärfen, was sie erwartet, wenn ihr Moment gekommen ist."
Es war nicht das erste Mal, dass Rufas an der Setzung eines Saltans teilnahm, aber wenn er die Zukunft hätte beeinflussen können, wäre es sicherlich das letzte Mal gewesen. Für viele Pfauchonen war es die größte vorstellbare Ehre, einen Saltan gesetzt zu bekommen und damit dem Prinzenkrieger ihr Leben zu weihen, aber Rufas wäre froh gewesen, wenn diese Ehre an ihm vorbeigegangen wäre. Als männlicher Prophet war ihm jedoch automatisch ein Saltan gesetzt worden. Er dachte an die unvorstellbaren Schmerzen und dankte heimlich den Pangalaktischen Statistikern, dass sie Tieger weder die Intelligenz noch das Talent gegeben hatten, eines Tages in diese Situation zu kommen.
Lemna teilte seine Meinung nicht, das sah er an dem neidischen Blick, den sie dem kahl geschorenen Pfauchonen zuwarf. Sie wünschte sich sicherlich, Tieger ginge an seiner Stelle. Oben auf der Bühne nahm Sebor den Saltan aus einem Korb und hielt ihn hoch über den Kopf. Das unterarmlange, buschige Wesen wand sich nicht in seinem Griff, sondern lag wie tot auf seinen Händen. Mit äußerster Präzision wandte Sebor sich allen neun Himmelsrichtungen zu, bevor er dem jungen Pfauchonen zunickte.
Der stieg vorsichtig die nassen Holzstufen empor. Selbst aus der Entfernung sah Rufas das Zittern seiner Beine. Er bezweifelte, dass der Regen etwas damit zu tun hatte. Die Pfauchonen, die den Jungen begleiteten, wandten sich ab und wurden von zwei Propheten zum Rand des Dorfes begleitet. Sie mussten außerhalb warten, bis die für sie geheime und heilige Zeremonie beendet war. „Tieger sollte nicht zusehen", sagte Lemna besorgt. „Allein wird er Angst bekommen."
„Wenn du ihn von seinen Mitschülern trennst, verliert er sein Gesicht. Du hast darum gekämpft, ihm diese Normalität zu ermöglichen. Nimm sie ihm jetzt nicht weg!"
„Du hast Recht." Lemna klang unentschieden, blieb jedoch stehen. „Ich hoffe nur, dass er keine Schande über sich bringt." Fast gegen seinen Willen kehrte Rufas' Blick zurück zur Bühne, wo die Setzung des Saltans bereits begonnen hatte. Der Pfauchone kniete vor Sebor und betete stumm, während sein Hinterkopf mit einer durchsichtigen Flüssigkeit eingerieben wurde. Das Komitee der Neun begann leise zu singen. Sie benutzten die Ehrensprache, das verstand Rufas, aber die Worte waren so alt, dass ihre Bedeutung längst in
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