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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
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dabei tatkräftig unterstützen.
    Später suchte Matt Drax sein Zimmer auf, um allein mit sich zu sein. Die Erleichterung über de Roziers Einsicht war einer unterschwelligen Beunruhigung gewichen. Wie ein böses Omen klebte die Nachricht vom Selbstmord des kaiserlichen Chefberaters in seinem Gemüt.
    ***
    Madagaskar, Mitte März 2524
    Ihre Schritte polterten über das Außendeck. Es war früher Nachmittag. Sie stießen die Tür ins Unterdeck auf, kamen die Treppe herunter und den schmalen Gang entlang und stießen die Kajütentür auf. Ohne anzuklopfen, traten sie ein. Sie waren wieder zu zweit.
    Keetje stand mitten im Raum und stemmte die Fäuste in die Hüften. Der Besuch der Zwillingsbrüder überraschte sie nicht.
    Yann Haggard hockte in seinen zerwühlten Decken und hielt sich den schmerzenden Schädel.
    Einer der beiden Kerle hob einen daumengroßen Flüssigkeitsschlauch aus Leder. Sein blutverkrustetes Gesicht verzerrte sich zu einem widerlichen Feixen.
    »Was willst du, Loykass?«, fuhr Keetje ihn an. »Und was hältst du da in der Hand?«
    »Ich bin nicht Loykass, ich bin Woyzakk, der neunundneunzig Männer erschlagen hat.«
    »Zweiundneunzig«, korrigierte ihn der andere. »Frauen zählen nicht.« Tiefe Wunden klafften in seinem Körper, und dort, wo einmal sein linkes Auge gewesen war, klebte eine schmutzige Blutkruste.
    »Das ist das Schmerzmittel«, verkündete Woyzakk stolz.
    »Jetzt musst du mit uns in die Burg des Großen Kriegshäuptlings Wyluda ziehen, Seher!« Yann hob den Kopf.
    Sein gesundes Auge blieb an dem Lederschlauch in der Hand des Hünen hängen.
    »Hatten die Weiber auch ein Mittel besorgt?«, wollte Keetje wissen.
    »Ja.« Woyzakk hielt den kleinen Schlauch noch ein Stück höher. »Das hier.«
    »Ihr habt es Ihnen geklaut!« Keetje neigte den Kopf auf die Schulter.
    »Gebt mir von dem Schmerzmittel, bei allen Göttern des Universums – her damit!« Yann streckte die Arme aus.
    »Nicht geklaut«, sagte der einäugige Loykass.
    »Abgenommen. Sie haben es nicht mehr gebraucht.«
    »Warum nicht, sie wollten doch…« Keetje verstand nicht gleich.
    »Tote brauchen doch kein Schmerzmittel mehr, oder?«
    Woyzakk feixte schmierig, und sein Zwillingsbruder stieß einen keuchenden Lacher aus.
    »Ihr habt sie alle getötet?« Keetje wich erschrocken zurück.
    Die Kerle widerten sie an.
    Loykass räusperte sich. »Ein Schmerzmittel war der Preis für deinen Meister, Mädel.« Der Einäugige Hüne deutete auf den Lederschlauch in den Fingern seines Bruders. »Du kriegst das Mittel und wir kriegen den Meister.«
    »Ich bekomme das Schmerzmittel«, krächzte Yann. »Her damit! Ich nehme es, und wenn es wirkt, gehe mit euch zu euerem Kriegshäuptling oder wohin ihr wollt…«
    Woyzakk zog den Pfropfen aus dem Lederschlauch und reichte ihn dem Kranken. Yann setzte die Öffnung an die Lippen und leerte den kleinen Schlauch in einem einzigen gierigen Zug. Danach wischte er sich die Lippen mit dem Handrücken ab und schüttelte sich.
    »Was ist los mit dir?«, fragte Keetje, als er gar nicht mehr aufhören wollte, sich zu schütteln. Yann Haggard wollte vermutlich antworten, öffnete jedenfalls den Mund – doch kein Wort kam über seine Lippen. Er schüttelte sich; bis er die Augen verdrehte und seitlich auf den Boden kippte.
    Atemlos starrte Keetje den schlaffen Körper ihres Ersatzvaters an. »Beim Kukumotz, was ist mit dir…« Ihre Augen weiteten sich.
    Yann reagierte nicht, er konnte nicht mehr reagieren. Keetje schrie. »Ihr habt ihn umgebracht, ihr verfluchten Wichser!« Sie stürzte sich auf Woyzakk – und rannte direkt in seine Faust. Im nächsten Moment wurde es schwarz um sie…
    ***
    Am nächsten Morgen nach dem Frühstück war die Privatroziere des Kaisers startbereit. Sie stand unter Dampf und war beladen worden mit Proviant, Wasser und Brennmaterial.
    Hunderte Menschen fanden sich am Ankerplatz der Luftschiffe ein und feierten bei Musik und Tanz. Nichts, was Matt Drax noch überraschen konnte.
    Die schöne Leibgardistin Tala und der junge Rönee drängten sich durch die Menge. »Wir sind sehr beunruhigt, dass Ihr allein reisen wollt, Euer Excellenz«, sagte Tala. Ihre Haut war nicht schwarz, sondern schmutzig grau an diesem Morgen, und ihre Augen waren verweint. Vermutlich hatte sie die ganze Nacht um ihren Onkel getrauert.
    »Nehmt wenigstens Tala und mich mit«, schlug Rönee vor.
    »Ihr solltet auf kein wachsames Auge verzichten, und auf keine Hand, die ein Schwert führen kann, Euer
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