2169 - Das Lichtvolk
dachte ich konzentriert. Denn das war der Trick: Nicht der Leuchter musste zu Beginn die Tymdit kennen lernen, sondern umgekehrt, andersrum, die Tymdit den Leuchter!
Kein Guyar konnte im Vorfeld alles Nötige über die Para-Sphären wissen. Sie aber wussten bereits fast alles über uns. Es ging nur noch um die persönliche Feinabstimmung. Natürlich war möglichst umfassende Beherrschung der Theorie ebenfalls wichtig. Das Streben im Schulungsraum würde mir nicht erspart bleiben, wenn ich das Potenzial der Tymdit auch nur ansatzweise produktiv nutzen wollte.
Vaia'Kataan hörten zeitlebens nicht zu lernen auf, hatte Panige gesagt. Doch am Anfang lernte vor allem die Tymdit. Sie pegelte sich auf den neuen Leuchter in ihrem Inneren ein, erforschte seine Art, zu denken und zu begreifen, zu agieren und zu reagieren, zu senden und zu empfangen. Sie passte sich seinen Stärken und Schwächen an, seinen Macken und Eigenheiten, seinem „Stil". Es war so logisch, dass ich geradezu zornig auf mich selbst wurde, weil ich so lang für die Lösung gebraucht hatte. Sieben Halbe plus sieben Halbe gibt sieben Ganze...
Freilich klafften auch in diesem Fall Wissen und Erfahrung weit auseinander. In Wirklichkeit war alles noch viel... irrer. Ich finde kein anderes Wort dafür. Nackt hing ich in der Kugel, schwerelos und unbeweglich. Ich bin Anguela, dachte ich. Die hyperenergetische Entsprechung dieses Gedankens flammte in meinem Tymcal-Geflecht auf. Im selben Moment, scheinbar zeitverlustfrei, wurde mein Leuchten von einigen hundert oder tausend oder hunderttausend der Waben in der Wandung reflektiert.
Der Widerschein enthielt die zuvor gesendeten Informationen und zusätzliche, die von meiner Tymaxul aufgefangen und interpretiert wurden. Sie waren keineswegs verbaler Natur. Die Tymdit antwortete. Sie bestätigte, und sie fragte nach. Doch nicht in der Form von gesprochener oder geschriebener Sprache. Auch nicht in Bildern, Tönen, Gefühlen oder sonstigen benannten, verfälschten Sinneseindrücken. Sie kommunizierte mit mir auf einer viel unmittelbareren Ebene. Unser Medium war abstrakt und konkret zugleich: reines Licht. Die kritischsten Augenblicke - oder besser: Tymcal-Blitze - waren die allerersten, hatte Panige gesagt. Und zwar jedes Mal, wenn man mit einer Tymdit Kontakt aufnahm. Jetzt galt es, Ruhe zu bewahren; Hektik oder gar Panik zu vermeiden; sich und alles Übrige der Para-Sphäre zu überlassen.
Ich tat es, und es gelang mir. Mehr schlecht als recht, aber immerhin. Ich bin Anguela, dachte ich, einer vom Lichtvolk. Ein Guyar, ein Leuchter. Als die Tymdit antwortete, begriff ich plötzlich, was das wirklich bedeutete.
„Ich habe noch nie etwas auch nur annähernd so Tolles erlebt. Der völlige Wahnsinn!
Eine Offenbarung, eine Erleuchtung, was sage ich: ein Hypergewitter!" Panige rollte die Augen, verzog den Mund. „Ist ja gut, Junge. Nicht so laut! Es sehen ohnehin schon alle zu uns her." Wir saßen in der Kantine. Diese war groß, fasste gut hundert Tische, von denen die meisten besetzt waren. Selbstverständlich ausschließlich mit Frauen. Ich war der einzige Mann. „Oh. Entschuldige bitte, Mutter, aber ich ..."
Sie fasste nach meiner Hand und drückte sie. „Volles Verständnis, Anguela, wirklich.
Jede hier im Raum kennt dieses Gefühl. Wir haben es selbst erlebt, und wir erleben es täglich aufs Neue. Nur reiß dich trotzdem ein bisschen zusammen."
Wenn ich an die darauf folgende Zeit zurückdenke, so erscheint sie mir wie ein Rausch, eine Orgie des Lernens. Bald hatte ich mich mit der Tymdit angefreundet - oder eigentlich sie sich mit mir. Wir arbeiteten fast schon perfekt zusammen. Es kam der Burd, da Panige externe Geräte zuschaltete. Zuerst eine einfache, kleine Maschine, die aus Müll Verpackungen für Speicherkristalle erzeugte. Dann eine Fertigungsstraße für die Kristalle selbst. Schließlich den ganzen Fabrikkomplex ...
Es gibt nichts, musst du wissen, was sich nicht über eine - oder mehrere vernetzte - Tymdit steuern lässt. Verkehrsverbünde von Millionenstädten, die Verwaltung eines ganzen Planeten, der Schlagwortkatalog sämtlicher Biblio theken eines Kugelsternhaufens ... und nicht zuletzt: die AGLAZARE. Aber die waren damals noch unerreichbar für mich. Das machte mir jedoch nicht viel aus. Ich habe immer gern gelernt, auch rasch. Aus Neugier, Wut, Langeweile, Geltungssucht oder verschiedenen anderen Motiven. Damals, in und mit der Schulungs-Tymdit der Vaia'Kataan von Siv'Kaga, lernte
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