2169 - Das Lichtvolk
keinerlei sonstige Bedienungselemente oder andere Vorsprünge, die ich hätte erreichen können. Ich hing in der Mitte, fixiert vom schwachen, doch angesichts der Schwerelosigkeit unüberwindlichen Traktorstrahl. „Siehst du?", sagte meine Mutter, nachdem sie mir die Hand gereicht und mich hinausgezogen hatte. „Im Normalfall gibt es nur dich und die Tymdit. Entweder du kommst mit ihr zurecht - oder du hast Probleme." Ich schüttelte mich. Das Gefühl der Hilflosigkeit war nicht angenehm gewesen. „Eine Tymdit, die", erläuterte Panige weiter, ohne mir eine Verschnaufpause zu gönnen, „wie im Fall der Anlagen von Siv'Kaga, an einen Produktionskomplex angeschlossen ist, kann von einer Vaianischen Ingenieurin in vollständige Gedankenkontrolle übernommen werden. So vermag eine einzige Vaia'Kataan eine komplette Fabrik zu steuern." Innerlich frohlockte ich bereits. Ich war sicher, dass ich diese Aufgabe mit Bravour lösen würde. Ich war geradezu geboren dafür, oder nicht?
Hatte es nicht immer geheißen, dass ich schon kurz nach der Geburt heller geleuchtet hatte als je ein Guyar zuvor?
Und hatte man mir nicht von klein auf eine einzigartig hohe Hypersensibilität attestiert? „Obacht!", warnte Panige. „Das klingt viel einfacher, als es ist, mein Sohn. Die Sensorik nimmt nicht nur Lichtstrahlen auf, tastet also nicht nur deine Gedanken ab, sondern jede einzelne der 1,82 Millio nen Waben arbeitet in einem intermittierenden Modus. Phase eins ist Empfang von Lichtinformationen - Phase zwei ist deren Aussendung. In Phase zwei erhältst du Rückmeldung über die Effekte deiner Maßnahmen; Statusberichte, ungewöhnliche Vorkommnisse und so weiter."
„Wie schnell wechseln die beiden Phasen ab?"
„Dachte mir schon, dass du das fragen wirst. Bist ja nicht aufs Geflecht gefallen. Die Antwort lautet: So schnell, dass du es als gleichzeitig empfindest." Nun musste ich mich am Rahmen der Luke festhalten. „Du meinst, ich erhalte ..."
„... permanent bis zu 1,82 Millionen sich gedankenschnell verändernde beziehungsweise praktisch zeitgleich von dir veränderte Einzelinformationen."
„Und wie interpretiere ich die?"
„Komm mit!"
Niemand konnte das schaffen. Und doch muss es möglich sein. Mutter vollbringt es an jedem Arbeitstag über mehrere Gefrin hinweg und so wie sie noch Milliarden anderer Leuchter in den acht Galaxien. Gleichwohl- ich war der Verzweiflung nahe.
Panige hatte mich auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in einem kleinen Schulungsraum abgesetzt. Hier gab es hoch entwickelte, speziell auf Guyar zugeschnittene Lerngeräte, die sich unsere Tymaxul zunutze machten. Sie berieselten mich gleichzeitig optisch, akustisch und mit ultrahochfrequenter Hyperstrahlung.
Die Menge an Lehrstoff war so wahnsinnig groß! Unzählige absurde, scheinbar vollkommen unlogisch aufgebaute Maschinensprachen. Deren Umsetzung auf die Sensorik der Tymdit. Tausende und Abertausende Kurzbefehle, dreidimensionale Raster, Sonderfunktionen. Autoreflexive Diagnostik. Freiwillige Selbstkontrolle.
Optimierung des Multitasking ... Allein der Ordner„Verhalten in Notfällen" hätte in Erünies sämtlichen Speichermedien nicht einmal zur Hälfte Platz gefunden. Gewiss, wir sind organisch, zerebral und durch das Tymcal-Geflecht optimal auf die Erfüllung eben jener Anforderungen vorbereitet. Aber diese irrwitzig kurzen Reaktionszeiten!
Bewusst denken konnte man da nicht mehr oder nur auf einer übergeordneten Ebene, quasi einer Art Benutzeroberfläche. Was wirklich geschah, musste man spüren. Und - vorher - sehr genau wis sen. Mit einem Mal schwante mir, dass die Tage der Jugend unwiederbringlich vorüber waren.
„Mutter?"
„Ja, Anguela?" Wir waren auf dem Heimweg. Sie wirkte müde. Und ich war ebenso ausgepumpt wie mutlos. „Ich habe die ganze Zeit über gelernt."
„Recht so."
„Aber es ist vollkommen unmöglich, sich das alles in absehbarer Zeit anzueignen. Bis ich auch nur die wesentlichsten Punkte davon verstanden habe, bin ich alt und farblos."
„Das glaube ich nicht." Panige klang nicht sehr mitfühlend. „Doch! Wenn ich in diesem Tempo weitermache, sehe ich in hundert Thadrin noch keine Tymdit von innen!"„Hm. Bevor du nicht verstehst, was da drin wirklich abläuft, solltest du nicht ohne Angugoles hineingehen. Das ist richtig." Ich sagte nichts mehr. Schweigend stapften wir nebeneinanderher. Ich war sauer auf sie. Sie hätte mir ruhig ein wenig mehr helfen können. Dass mich Erünie Zowel nicht gerade als
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