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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war, das hatte so einfach, so naiv geklungen. Natürlich hatte er unrecht, er, der geistig arme Mann im unkultivierten Kurdenland! Mit welch einem unendlich zusammengesetzten und ebenso imponierenden Apparat behandelt dagegen unsere gelehrte Psychologie dieses ‚Seele‘ genannte, mit hundert Armen und Beinen zappelnde Gliedertier! Natürlich hat sie recht, diese auf allen Akademien gepflegte und von allen seelenvollen Menschen anerkannte Wissenschaft! Und Geist? Ein Phantom? Ist es nicht grad der Geist, dem wir diese tief eingehende, beglückende Wissenschaft über die Seele verdanken? Ist nicht er es, der uns mit dem Animismus, dem Okkultismus, dem Spiritismus, der Pneumatologie und ähnlichen übersinnlichen Geschenken gesegnet hat? Und dieser Geist, der die Menschen sogar Geister sehen und mit Geistern sprechen läßt, soll ein Phantom sein? Peder, du bist ein lieber, guter Mensch, bist mein und Halefs Retter, ragst seelisch über Tausende empor, doch muß ich dir es sagen: Du hast nicht eine einzige Spur von Geist! – Man kann sich denken, daß ich an den Stock dachte, der mir für heut versprochen worden war. Die liebe Ungeduld verleitete mich zu der Bitte an Schakara, ihn mir doch recht bald zu bringen. Sie versprach es lächelnd, tat es aber nicht, wenigstens nicht gleich. Es mochte gegen Mittag sein, als Halef die ersten Zeichen gab, daß er erwache. Kara eilte sofort aus der Halle, um den Peder zu holen. Als dieser kam, hatte er den Stock in der Hand; er gab ihn mir.
    „Ich halte mein Versprechen“, sagte er, „doch warte noch ein wenig. Ich werde dich hinab zu Assil tragen lassen. Dort wirst du im Schatten der Platanen bis zum Abend ungestört sein und dich Wohlbefinden.“
    Kaum hatte er das gesagt, so ließ sich Halefs Stimme hören:
    „Kara, mein Sohn!“
    „Hier, mein Vater“, antwortete der Gerufene, der neben dem Peder gestanden hatte und nun hin zu dem Hadschi eilte.
    „Ich sah dich auf dem Ghalib. Weißt du, wann das war?“
    „Gestern war's.“
    „Wo?“
    „Hier.“
    „Hier? Wo ist das?“
    „In dieser Halle.“
    „Halle? Warte! Ich will sie sehen!“
    Er kehrte seinem Sohne langsam das Gesicht zu und öffnete die Augen. Ihr Blick ging, so weit er reichen konnte, von Person zu Person, von Stelle zu Stelle. Als er mich in meiner Ecke sah, fragte er: „Wer liegt dort? Ist das nicht mein Sihdi?“
    „Ja, ich bin es, mein Halef“, antwortete ich.
    „Oh, Sihdi, Sihdi, ich besinne mich. – Ich war sehr krank. – Ich bin es noch. – Ich starb bereits. – Da rief man mich zurück. – Ich hab sehr viel gesehen. – Doch weiß ich es nicht mehr. – Vielleicht fällt es mir wieder ein. – Ich will nicht sterben. – Ob ich wohl noch leben bleibe?“ – Er sprach nur in kurzen Sätzen, leise, aber hörbar. Nach jedem Satz sammelte er sich und holte tief Atem. Als eine Weile vergangen war, bat er: „Hanneh – Kara – steht auf! – Ich will euch ganz sehen. – Ich liebe euch!“ Sie taten nach seinem Willen. Da begann sein Auge, sich mehr zu beleben. „Mein Weib! Wie danke ich dir! – Mein Sohn! Wie schön warst du auf deinem Pferd! – War Ghalib sehr ermüdet?“
    „Nur ein einziges Mal“, antwortete Kara.
    „Hast du für ihn gesorgt?“
    „Ja.“
    „Für Barkh auch?“
    „Ja, mein Vater.“
    „Wenn ich sie sehen könnte!“
    Im Nu eilten Hanneh und Kara hinaus, um die Pferde zu holen. Als sie die beiden brachten, kam Assil aus eigener Machtvollkommenheit hinterher gelaufen. Er wußte, wo ich lag, und wendete sich zu mir. Die zwei anderen wurden hin zu Halef geführt. Dieser bekam plötzlich Kraft, den Arm erheben zu können.
    „Barkh, mein Liebling! – Komm her zu mir!“ sagte er, indem er die Hand nach dem Rappen ausstreckte. Dieser trat ganz zu ihm heran, spielte mit den Ohren und nahm die dargebotene Hand in die Lippen.
    „Mein Guter! – Mein Treuer! – Du hast dich nach mir gesehnt! – Ich sehe es dir an!“ klagte der Kranke. „Er hat gehungert! – Wie ist's damit? – Sag es mir, o Peder!“
    „Es ist so, wie du sagst“, antwortete der Gefragte. „Wenn sie auch nicht gehungert haben, so konnte Schakara sie doch oft nur dadurch zum Fressen bringen, daß sie ihnen ihr grünes Lieblingsfutter gab.“
    „Wenn ich gesund bin – – – wird Barkh wieder fressen – wie vorher. – Aber ob ich nicht – doch sterben werde?!“
    „Du wirst leben bleiben!“
    „Glaubst du das?“
    „Ja.“
    „Wirklich?“
    „Gewiß! Du

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