22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Aber warum?“
„Natürlich der Krankheit wegen.“
„Du wandelst im Kreis, Effendi. Und du kennst die Seele nicht. Hast du einmal den Ausdruck ‚gute Seele‘ gehört?“
„Ja.“
„Böse Seele?“
„Nein.“
„Jetzt kommt das Neue, was ich dir sagen wollte. Nämlich es gibt keine böse Seele. Die Seele scheut alles Böse, sogar schon alles Häßliche. Das Böse und das Häßliche hat nur darum so große Macht über uns, weil die Seele davon abgestoßen wird. Sie zieht sich zurück; dann stehen wir ohne ihren Schutz allein. Der Mensch soll seine Seele nicht versuchen, sondern alles meiden, was sie, die sich nicht beflecken will, beleidigen muß. Er soll sie ja nicht zwingen, sich von ihm, wenn auch nur für die kürzeste Zeit, zu trennen. Hast du schon einmal gesehen, daß ein Mensch in Ohnmacht fällt?“
„Schon oft.“
„So wirst du wissen, daß der Grund fast stets ein böser oder häßlicher war. Bei bösen Dünsten, bei häßlichen Gerüchen oder gar bei wirklichem Gestank befindet sich der Mensch nicht wohl; er atmet schwer; er kann sogar das Bewußtsein verlieren. Die Seele zieht sich von den Sinnen zurück, welche ihr diese Schmerzen bereiten. Wird dir dein Haus oder Zelt so verunreinigt, daß du es nicht mehr aushalten kannst, so verläßt du es. Nun denke über deine Veilchen und über Halefs Rosen nach!“
„Ah! Ich beginne zu begreifen!“
„Diese Krankheit löst gewisse feine Körperteilchen auf, ohne sie aber ausscheiden zu können. Der Verwesungsprozeß beginnt bei lebendem Leib. Der Geruch wird dir das bewiesen haben. Ich fürchte dein Lächeln und will dir deshalb und einstweilen nur sagen, daß wir die duftenden Rosen und Veilchen nicht etwa nur darum zu euch gestellt und dein Lager mit ihnen bestreut haben, um unsere Nerven des Geruchs zu schonen. Es ist vorzugsweise aus anderen und tieferen Gründen geschehen. Bin ich ein guter Hekim, so habe ich mein Augenmerk nicht allein auf den Körper, sondern auch auf die Seele zu richten. Ich muß aus allen Kräften und mit allen Mitteln dahin wirken, daß sie sich nicht gänzlich vom Körper loslöse. Du ahnst nicht, wie oft du während deiner langen Bewußtlosigkeit im reinigenden Wasser gelegen hast. Diese Bäder haben noch ganz andere Gründe als nur die Säuberung des kranken Körpers! Lächelst du?“
„Nein.“
„Es schien mir so! Wenn die Zersetzung des Körpers so weit vorgeschritten ist, daß die Seele die Sinne nicht mehr berühren kann, dann ist der Kranke aufzugeben. Darum setzte ich bei Halef meine Hoffnung darauf, daß er noch werde sehen, hören und sprechen können. Sie hat mich nicht betrogen. Aber die Seele des Leidenden darf nicht bloß können, sondern sie muß auch wollen. Es war ein wunderbar glücklicher Gedanke von dir, zu den Haddedihn zu schicken, daß Kara Ben Halef kommen solle. Und die vortreffliche Wirkung wird dadurch verstärkt, daß er seine Mutter mitgebracht hat. Der Anblick dieser beiden Lieben hat die Seele gezwungen, mit dem Körper verbunden bleiben zu wollen. Denn, glaube mir, der Leib hat keine Macht, die Seele zu halten, wenn sie sich nicht halten lassen will oder halten lassen darf! Gelingt es dem Arzt, dieses seelische Wollen zur Energie zu steigern, so kann er doppelt frohe Hoffnung hegen. Halef kam mir da mit seinem Wunsch entgegen, seinen Sohn zu Pferd und als Krieger sehen zu wollen, und du weißt, wie gern und schnell ich hierauf eingegangen bin. Ich glaube nun, daß er gerettet ist.“
„Du glaubst es nur?“
„Ja.“
„Wie gern möchte ich hören, daß du überzeugt seist!“
„Warte bis morgen!“
„Gibt es da eine Entscheidung?“
„Wahrscheinlich. Halef ist doch, wie ich gesehen habe, ein ausgezeichneter Reiter?“
„Nicht nur das. Er ist mit ganzer Seele bei allem, was das Pferd betrifft.“
„Mit ganzer Seele! Das ist das, was ich wünsche, denn diese seine Seele ist dadurch zu fassen. Ich denke dabei an den Wettritt zwischen euch beiden und uns. Du wirst dabei bemerkt haben, daß ich wahrscheinlich ein guter Scheik oder Hekim, aber kein tadelloser Reiter bin. Der innige Umgang mit dem Ustad hat mir nicht erlaubt, in der notwendigen, immerwährenden Übung zu bleiben. Wäre das nicht, so hätte ich die Stute besser geritten und wäre von dir wenigstens nicht so schnell eingeholt worden. Ich erinnere mich, daß Halefs Augen leuchteten. Liebt er solche Anstrengungen der Pferde?“
„Ein Wettreiten auf edlen Rossen geht ihm über alles!“
„Wohl! Es wird
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