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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anstatt der Liebe gibt, was ist er dann für mich? Mein Nächster? Oder noch schlimmer als nur fremd? Ist er dann überhaupt ein Christ?
    Wie herrlich war der Nachmittag unter den Platanen, in deren Schatten man für mich die Kissen zum Sitzen aufgerichtet hatte. Die Sonne brannte, doch konnten die Strahlen nicht durch die dichten Wipfel dringen. Die Rosen dufteten; jede Pflanze schien Wohlgeruch auszuatmen. Ich befand mich nicht weit genug vom Haus entfernt, um es und seine Lage ganz überschauen zu können. Es stand auf kompaktem Felsengrund, dessen Spalten durch festes Mauerwerk ausgefüllt worden waren. Sein hinterer Teil nahm die natürlichen Höhlungen des Gesteins ein. Der vordere Teil ragte frei empor, mehrere Stockwerke hoch und war von ansehnlicher Breite. Das Dach war glatt, vorn mit einer assyrischen Mauerkrönung; wie man sie in Dur-Sargon zu sehen bekommt. Doch habe ich ganz ähnliche Krönungen auch in alten Orten des Oberen Nils getroffen. Über dem Dach gab es in dem Felsen offene Höhlungen, zu denen schmale Stege emporführten. Das erinnerte mich lebhaft an den ‚Stabl Antar‘ bei Siut, der ganz ebenso zu ersteigen ist. In einer dieser Höhlen sah ich die beiden Glocken hängen. Sie war halbkugelförmig ausgebaucht. Die Tonschwingungen konnten nur nach der einen, offenen Seite fließen, was ihnen eine erhöhte Stärke und beträchtlich erweiterte Hörbarkeit verlieh.
    Glocken hier im persischen Kurdistan? So wird wohl mancher fragen. Ich habe freilich viele, viele Menschen kennen gelernt, welche der falschen Ansicht sind, daß nur das Christentum Glocken besitze und daß es in früherer Zeit noch keine gegeben habe. Wenn sogar im Konversationslexikon von Pierer zu lesen ist, daß die Glocken eine Erfindung der christlichen Kirche seien, so darf man sich nur wundern. Kleinerer Glöcklein bediente man sich schon im frühesten Altertum; aber schon im alten China gab es größere und sogar große. Die zu Peking ist über zwölfhundert Zentner schwer und fast fünf Meter hoch. In Ägypten wurden die Osirisfeste durch Glockenspiele eingeläutet. Man hat kleine Bronzeglocken in Assyrien ausgegraben. Im alten Indien wurden die Buddhisten durch große, metallene Glocken zum Gottesdienst zusammengerufen. Bei den Griechen bedienten die Priester der Kybele und der Persephone ihre Glocken, und Kaiser Augustus ließ eine Glocke vor dem Tempel des Jupiter aufhängen. Glocken indischer oder assyrischer Form kamen nach Persien. Die griechische Kirche liebte und verbreitete besonders das Glockenspiel. Im Quellenland des Euphrat und des Tigris, wo es heut noch Christen uralten Bekenntnisses gibt, besaßen wohlhabende Gemeinden schon zu frühen Zeiten ihre Glocken. Der Islam verhielt sich ablehnend, doch geduldete Christen durften ihre Glocken behalten. So war es also gar kein Wunder, daß auch die Dschamikun zwei besaßen, zu denen sie, wie ich später erfuhr, durch den Ustad auf ganz eigentümliche Weise gekommen waren. Es führte eine bequeme Treppe zu ihnen hinauf, so daß man also auch des Nachts ohne Besorgnis emporsteigen konnte.
    Von da aus, wo ich saß, konnte man den Eingang zu dem freien Platz sehen. Man verschloß ihn durch ein großes Tor, welches jetzt offen stand. Von diesem Platz aus stieg man die Stufen zu der Halle empor. Links führte ein Weg nach einer breiten, hohen Tür, deren starke Steinposten gewiß schon seit Jahrtausenden standen. Rechts ging man nach einem Garten, in welchem zwischen Obstbäumen Blumen und Gemüse gepflegt wurden. Dorthin beschloß ich, meinen ersten Spaziergang zu machen. Ich griff zum Stock und stand auf. Die Beine zitterten zunächst ein wenig, und die Füße wollten lieber auf dem Kissen liegen bleiben. Aber sie mußten gehorchen, und als sie sahen, daß ich bei meinem Willen blieb, fügten sie sich in das Unvermeidliche.
    Ich kam über den ganzen Platz hinüber bis zur Garteneinzäunung, an der ich aber halten blieb, um auszuruhen. Nachdem ich dies getan hatte, ging es weiter, in den Garten hinein. Er war sehr groß. Es gab da eine ganze Menge Beete, von deren Erträgnissen ein großer Haushalt bestritten werden konnte. Zwischen ihnen standen viele Bäume, welche Früchte trugen. In leidlicher Entfernung sah ich ein Weichselgebüsch, an welchem eine Bank stand. Dort wollte ich mich niedersetzen. Ich ging also hin. Hierbei kam ich an zwei nahe beieinander stehenden, persischen Erikan (Pflaumenbäume) vorüber, welche so voller Früchte hingen, daß ihrer fast mehr als

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