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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ängstlich gespannt; das Näschen wollte verschwinden, und die Äuglein schlossen sich, zwar langsam aber ganz. Hatte sie etwa einmal von einer Europäerin gesehen, welche Ritterdienste in solchen Fällen von einer kleinen Ohnmacht zu erwarten sind? Nein! Die Äuglein öffneten sich wieder. Sie wurden sogar noch größer, als sie vorher gewesen waren.
    „Heut – heut – verläßt der – der fremde Effendi – zum erstenmal – das Haus – – –“, stotterte sie.
    „Du hast ihn wirklich noch nicht gesehen?“ fragte ich.
    „Nein. Niemand von uns – durfte die Halle betreten. Bist du – du etwa der – – – Effendi?“
    „Ja, ich bin's.“
    Da fuhr sie vor Entsetzen zwei Schritte zurück. Ihr liebes Gesicht verlor nun alle, alle Farbe. Der Lange aber schoß in seinem Schreck noch höher empor, als er eigentlich gewachsen war. Wahrscheinlich wollte er mit der gedankenreichen Stirn so hoch hinaus, daß ihr meine Rache unmöglich etwas anhaben konnte. Diese Bewegung brachte ihn auf eine rettende Idee:
    „Ich hole Kerbel!“ rief er aus.
    Mit drei Sätzen seiner langen Beine war er bei den beiden Bäumen, raffte den Korb auf, schüttete die hineingelesenen Pflaumen wieder heraus und rannte fort, um die fernste Ecke des Gartens zu erreichen. Ich sah ihm lachend nach und hatte dabei nicht acht auf meine ‚Festjungfrau‘. Da erklang es neben mir:
    „Und ich muß in die Küche!“
    Da drehte ich mich um. Sie war schon weg. Ich schob die Zweige auseinander, um ihr nachzusehen. Sie schoß in größter Eile auf einige Hausbedienstete zu, welche auch von den Hilferufen angelockt worden waren, aber nicht gewagt hatten, näher zu kommen.
    „Fort! Weg mit euch!“ rief sie, indem sie an ihnen vorüberkam. „‚Das Kind‘ hat wieder eine Dummheit gemacht. Stört dort den Effendi nicht!“
    Hierauf verschwand sie in ihrem wohltätigen Reich. Vor mir lag eine ihrer beiden Rosen, die ihr entfallen war. Ich hob sie auf und steckte sie zu mir. –
    Warum erzähle ich dies, eigentlich nichts weniger als bedeutende Ereignis, hier? Weil im Menschenleben oft das, was gleichgültig erscheint, später größere Wichtigkeit gewinnt, als man vorher vermuten konnte.
    Nach einiger Zeit kam ‚das Kind‘ aus seiner Gartenecke zurück, hütete sich aber wohl, an mir vorbeizugehen. Es machte vielmehr einen Bogen hinterwärts, um wieder in die Küche zu gelangen. Hierauf verließ auch ich den Garten, versäumte aber nicht, mir die Taschen noch einmal mit Pflaumen zu füllen. Noch hatte ich mich nicht lange niedergesetzt, da kam der Peder. Er war in der Küche gewesen, und die Köchin hatte ihm erzählt, was geschehen war. Er fragte mich, ob mir ‚das Kind‘ sehr weh getan habe. Ich beruhigte ihn mit Vergnügen.
    „Er wird von uns nur ‚Kind‘ genannt“, sagte er. „Andere pflegen ihn El Aradsch, den Lahmen, zu nennen. Es hat mit ihm eine eigene Bewandtnis, welche du später auch noch kennen lernen wirst. Du liebst das Obst?“
    „Ja. Ich esse es sehr gern, und zwar ungewöhnlich viel.“
    „Tue das, so lange du lebst! Die reine, keusche Lebenskraft ist nicht im Fleisch des ausgewachsenen Tieres vorhanden. Genießt man welches, so soll es nur ganz junges sein. Das reife Tier gibt auch dem Menschen, der es genießt, tierische Reife. In der Frucht des Baumes aber ist das reinste Leben aufgespeichert, weil Wurzeln, Stamm und Zweige das Unreine zurückbehalten haben. Nun weißt du, warum der Ustad uns gelehrt hat, nicht nur Felder, sondern auch Gärten anzulegen.“
    Hatte der Peder recht? Ich habe mich später an seine Weisung gehalten und befinde mich sehr wohl dabei!
    Hanneh und Kara kamen abwechselnd zu mir auf den Vorplatz heraus. Ich erfuhr von ihnen, daß Halef still und ruhig schlafe.
    Später hatte ich das Vergnügen, die Köchin und ‚das Kind‘ wiederzusehen. Sie wollten miteinander hinunter in das Dorf und mußten da an mir vorübergehen. Das Kind hatte jetzt ein längeres Gewand angelegt, welches fast bis an die Knöchel reichte. Die Gebieterin der Küche hatte sich mit einem langen, weiten, weißen, schleierähnlichen Stoff geschmückt, welcher, ihr Gesicht freilassend, von dem Kopf aus hinten niederfiel und, nach vorn zusammengerafft, die ganze Gestalt einhüllte. Es war an ihr überhaupt, jetzt und auch später, nichts als nur Weiß zu sehen.
    Man sah beiden an, daß sie sich meinetwegen in Verlegenheit befanden. Sie näherten sich nur zögernd. Sie sagte ihm etwas und schob ihn dann mit der

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