22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
der Halle. Er sagte mir, daß sein Vater für einige Augenblicke aufgewacht sei, und dabei, wie noch halb im Schlaf, mit leiser Stimme die Worte gesagt habe:
„Kara muß die Pferde üben!“
Er hatte darum die Absicht, jetzt, wo die Hitze des Tages vorüber war, bis zum Abend auszureiten, und zwar mit allen drei Pferden, weil Assil und Barth so lange Zeit nicht vom Haus fortgekommen waren. Er sattelte auch sie, weil er es nicht für vornehm hielt, sie nackt nebenherlaufen zu lassen, setzte sich auf Ghalib und ritt dann zum Tor hinaus.
Hierauf mochten kaum zehn Minuten vergangen sein, so hörte ich von der Gegend dieses Tores her ein lautes, schnaufendes Atemholen. Ich drehte mich um. Tifl kam wieder, aber wie! Er machte Sprünge, als ob es sich um sein Leben handle. Seine langen Beine flogen nur so! Um bei dem so eiligen Lauf die Mütze nicht zu verlieren, hatte er sie abgenommen und trug sie in der Hand.
„Was ist geschehen?“ fragte ich, als er an mir vorüber wollte.
Er blieb für einen Augenblick stehen.
„Der junge Haddedihn!“ antwortete er, indem er die Hand mit der ledernen Spinne durch die Luft schwang.
„Kara Ben Halef?“
„Ja.“
„Der ist soeben fort.“
„Ich weiß es, Effendi.“
„Er reitet aus.“
„Und ich darf mit! Ich habe ihn gefragt! Hamdullillah! Ich bin schnell heraufgerannt, um das Pferd zu holen!“
Hierauf rannte er weiter, nach dem Garten hin, hinter dem sich, was ich noch nicht wußte, eine grasige Weide für Pferde an der Seite des Berges hinzog. Wie ‚das Kind‘ sich freute! Für Kara war es freilich nützlich, jemand, der die Gegend kannte, mitzunehmen. Aber grad diesen Tifl? Und wer weiß, auf welchen alten Gaul er sich wagen durfte! Es sollte doch wohl eine Schnelltour mit unsern edlen Tieren werden!
So waren meine Gedanken. Ich kannte ‚das Kind‘ eben nicht. Man soll sich stets hüten, vorschnell zu urteilen! Wer kam nach kaum einer Minute im eiligen Trab aus dem Garten? Sahm, der Braune des Ustad. Ohne Sattel und Zaum! Nicht einmal eine Leine um den Hals! Er sprang nach dem Tor zu. Hinter ihm her rannte ‚das Kind‘, strahlende Wonne im ganzen Gesicht.
„Den willst du reiten?“ rief ich ihm zu. „Er geht dir ja durch!“
Da lachte er laut auf. Mit zwei, drei weiten Sätzen hatte er das Pferd erreicht. Ein kühner, wundervoll abgemessener Sprung, und er saß oben. Die langen Beine legten sich fest an den Leib des Pferdes. Ein Wehen mit der Kurdenmütze nach mir zurück, dann flog der seltsame Zentaur zum Tor hinaus. Wer hätte denken können, daß dieser so willenlos und unbehilflich erscheinende Tifl ein solcher Reiter sei! Es war zum verwundern!
Wie aber hatte Kara auf den Gedanken kommen können, grad ‚das Kind‘ und keinen anderen mitzunehmen? Das war folgendermaßen geschehen:
Als der junge Haddedihn den Berg hinabritt, hatte er die Absicht, den Weg einzuschlagen, den er mit seiner Mutter gekommen war. Dies war ja der einzige, den er kannte, doch auch nicht genau, weil es bei der Ankunft ja nicht mehr Tag, sondern Abend gewesen war. Als er jetzt nun durch den Duar ritt, sah er die Köchin und Tifl vor einem Haus stehen, mit dessen Bewohnern sie sprachen. Er wollte an ihnen vorüber, doch ging das nicht so glatt, wie er gedacht hatte. Assil und Barth zeigten nämlich die Absicht, stehen zu bleiben. Sie drängten nach Pekala und ihren Begleitern hin.
„Kennen euch die Pferde?“ fragte er.
„Sehr gut“, antwortete die ‚Köstliche‘. „Sie haben sogar sehr innige Freundschaft mit uns geschlossen.“
„Wie ist das gekommen? Ich habe noch nie gesehen, daß sie Fremden eine solche Zuneigung schenkten.“
„Wahrscheinlich ist es Dankbarkeit. Sie grämten sich; sie weigerten sich, zu fressen. Da habe ich ihnen die besten und grünsten Leckerbissen aus der Küche hinausgetragen oder durch ‚unser Kind‘ geben lassen. Das nahmen sie. So lernten sie uns kennen. Nun freuen sie sich stets, wenn sie uns sehen.“
„Ja, Tiere sind für die ihnen erwiesenen Wohltaten oft dankbarer als die Menschen. Auch ich danke Euch!“
„Aber diese ihre Dankbarkeit hat die beiden Rappen nicht verleiten können, ihren Herren ungehorsam zu sein.“
„Wie meinst du das? Was deutest du da an?“
Da zeigte sie auf Tifl und antwortete, indem sie pfiffig lächelte:
„Richte deine Frage an diesen hier, an ‚unser Kind‘! Ich habe es nur gesehen; er aber hat es gefühlt!“
Da sprach der Lange in vorwurfsvollem Tone:
„Warum sprichst du davon, o
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