22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Pekala? Du solltest es doch nicht verraten! Was habe ich dir getan, daß du mich so beschämen willst?“
„Es geschieht zu deiner Erziehung. Kinder müssen erzogen werden. Ich hatte es dir verboten, und du tatest es aber doch. Da flogst du freilich herab!“
„Ah, du bist aufgestiegen?“ fragte Kara.
„Ja“, gestand Tifl, indem sein Gesichtchen einen unendlich kläglichen Ausdruck annahm.
„Auf welchen? Assil oder Barth?“
„Ich habe es mit beiden probiert.“
„Nun, weiter?“
Da riß er sich mit der linken Hand die Spinnenmütze vom Kopf, um mit der Rechten kratzend in die Haare zu fahren, und antwortete:
„Ich mußte herunter!“
„Ja, das glaube ich! Wir haben es sie so gelehrt. Du warst kaum oben, so flogst du wieder herab!“
Da richtete sich ‚das Kind‘ in seiner ganzen Länge auf und rief:
„Kaum oben? Oho! Ich bin Tifl, der nur dann aus dem Sattel geht, wenn er will! Es hat mich noch kein Pferd zwingen können, es unfreiwillig zu verlassen!“
„Aber diese beiden doch!“
„Ja. Aber ich würde schwören, daß es eine Lüge sei, wenn ich nicht selbst der heruntergeworfene Tifl wäre! Doch so sehr schnell, wie du meinst, ist es nicht geschehen. Es gab einen Kampf, einen schweren Kampf, doch, doch – – – doch – – –“
Er zögerte mit den Worten; es fiel ihm schwer, seine Niederlage einzugestehen. Da fiel die Köchin lachend ein:
„Ich stand dabei; ich sah den Kampf. Tifl glaubte, es erzwingen zu können; aber die Pferde wollten nun einmal nicht, und so mußte das Kind fliegen.“
„Erst nach längerer Zeit? Nicht gleich?“ fragte Kara. „Das ist sonderbar! Dann müßtest ja du eigentlich ein besserer Reiter sein, als ich je einen gesehen habe!“
„Der? Das Kind? Ein Reiter? Bloß eigentlich?“ fragte Pekala. „Natürlich ist er das! Er ist ja Sa'is (Pferdejunge) beim Schah-in-Schah gewesen!“
„Maschallah! Sa'is? Beim Beherrscher von Persien? Warum ist er das nicht geblieben?“
„Weil das Kind zu sehr wuchs. Es brauchte mit jeder neuen Woche auch eine neue Uniform“, scherzte die Köchin. „Darüber wurde es dem Schah-in-Schah himmelangst; er konnte das nicht aushalten und schickte Tifl also fort. Hier bei uns kann er wachsen, so hoch er will. Wir haben keine kostbaren Stallungen, welche er dadurch demoliert, daß er mit dem Kopf durch die Decken stößt.“
„O meine Pekala, was hast du heut wieder einmal für ein böses Herz!“ klagte der Lange. „Ich weiß ja, daß ich dem Schah-in-Schah zu lang, zu dünn und also zu häßlich wurde; aber grad dieser meiner Länge wegen sitze ich auf dem schlimmsten Pferd fest, weil meine Beine seinen ganzen Leib umfassen – – –“
„Und mit den Füßen kannst du unten sogar noch einen besonderen, festen Knoten knüpfen“, fiel sie ein. „Darum bist du der einzige, der unseren Sahm richtig zu reiten versteht.“
„Wer ist Sahm?“ fragte Kara.
„Das ist die berühmte, echtblütige Stute des Ustad, auf welcher unser Peder von Kara Ben Nemsi eingeholt worden ist. Hätte ‚das Kind‘ auf ihr gesessen, so – – –“
Tifl ließ sie den begonnenen Satz nicht vollenden; er fiel schnell und eifrig ein:
„Ich hätte mich ganz gewiß nicht einholen lassen!“
„Assil schlägt jedes andere Pferd!“ behauptete Kara.
„Kennst du unsere Stute?“ fragte Tifl.
„Nein.“
„Hast sie aber gesehen?“
„Noch nicht.“
„Soll ich sie holen?“
„Hierher? Warum holen? Ich darf sie wohl später sehen!“
„Du reitest aber jetzt spazieren. Mit deinen edlen Pferden. Wohin?“
„Das weiß ich nicht genau. Ich kenne eure Gegend noch nicht. Ich will unsere Tiere im Laufen üben. Weißt du, des Wettrennens wegen!“
„Bei diesem Rennen werde ich Sahm reiten. Erlaube mir, daß ich jetzt mit dir übe. Ich eile. Ich hole die Stute. Warte hier! In zehn Minuten bin ich wieder hier!“
Er rannte fort, ohne die Antwort Karas abzuwarten. Diesem blieb nichts anderes übrig, als zu verweilen, bis nach noch nicht zehn Minuten Tifl auf ungezäumtem und ungesatteltem Pferd wieder bei ihm eintraf. Er ritt die Stute, damit Kara sie beobachten möge, in den verschiedenen Gangarten einige Male hin und her und fragte ihn dann, was er zu ihr sage. Kara besaß zwar viel von der großen Lebhaftigkeit seines Vaters, hatte dazu aber von seiner Mutter jene Bedachtsamkeit geerbt, welche vorschnelles Reden oder Tun vermeidet. Er hütete sich also, ein Urteil auszusprechen, und lobte ihre sichtbaren
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