22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Unten wenden wir uns dann nördlich, um durch den Paß des Kuriers heimzukehren.“
Auf dieser Ostseite fielen die Berge steil zur Tiefe. Der Weg ging in zahlreichen Windungen hinab, so daß er immer nur für kurze Strecken zu überschauen war. Um so freier war die Aussicht in die Ferne, über die steppenähnliche Fläche hinüber, zu welcher die beiden jetzt hinunterritten.
Als sie die letzte, unterste Krümmung des Weges überwunden hatten und schon daran dachten, wieder galoppieren zu können, bot sich ihnen plötzlich ein unvorhergesehenes Hindernis dar. Da standen nämlich zwischen den Felsblöcken zerstreut, wohl gegen zwanzig Pferde, deren Reiter an einer versteckten Stelle plaudernd beieinander saßen. Einer hockte als Wächter auf einem hochgelegenen Stein, von welchem aus man einen weiten Ausblick in die Steppe hatte. Das waren persische Soldaten, und zwar Kavalleristen. Eigentliche Uniformen trugen sie nicht. Auch ihr Anführer war an keinen Rangabzeichen, sondern nur an einem langen, schweren Schleppsäbel zu erkennen, den er trug. Ihre Waffen taugten nicht viel; desto besser aber waren ihre Pferde. Die persische Kavallerie ist überhaupt recht gut beritten. Als sie die beiden Reiter sahen, sprangen sie alle auf.
„Sallam!“ grüßte Kara kurz, aber in höflichem Tone und indem er ihnen die Hand entgegensenkte.
Sie antworteten nicht. Ihre Augen waren bewundernd auf die vier Pferde gerichtet. Kara hielt nicht an. Er wollte an ihnen vorüber. Da aber stellte sich ihm der Anführer in den Weg.
„Halt!“ sagte er in befehlendem Tone. „Wer seid ihr?“
Man darf nicht vergessen, daß Kara der Sohn meines wackeren Hadschi Halef war, dem, außer wenn er wollte, niemand imponieren konnte.
„Sag vorher, wer bist du?“ forderte er den Perser auf.
„Du siehst, daß ich Soldat bin!“ antwortete dieser stolz.
„Und du siehst, daß ich keiner bin! Ich diene nicht; ich bin ein freier Mann!“
„Ein Mann?“ lachte der andere. „Schau meinen Bart und greif an den deinen dann! Ich stehe hier im Namen des Schah-in-Schah und frage dich nochmals, wer du bist!“
„Und ich sitze hier in meinem eigenen Namen im Sattel und antworte nur dann, wenn es mir beliebt! Allah schütze deinen Bart! Zum Fürchten ist er nicht!“
Als er dies sagte, richtet er seine dunklen Augen mit einem solchen Ausdrucke auf den Perser, daß dieser die Hand, welche er schon erhoben hatte, um Ghalib am Zügel zu fassen, wieder sinken ließ und von ihm zurücktrat.
„Ich höre an deiner Sprache, daß du ein Araber bist“, sagte er. „Ich bin Mülazim ewwel (Oberleutnant) des Beherrschers aller Herrscher. Nun weißt du es.“
„Der Beherrscher aller Herrscher kann nur Allah sein! Ich bin Kara Ben Hadschi Halef, ein Haddedihn vom Stamm der Schammar.“
„Wo kommst du her?“
„Woher es mir beliebt!“
„Wo willst du hin?“
„Wohin es mir behagt!“
„Maschallah! Denn für ein großes Wunder Gottes scheinst du dich zu halten! Ich habe hier zu fragen!“
„So frage die, welche dir zu antworten haben; zu ihnen aber gehöre doch nicht ich!“
Das war keineswegs verwerflicher Hochmut von Kara, sondern das wohlberechtigte Selbstbewußtsein des freigeborenen Arabers der Dschesireh. Wenn die Fragen in höflichem Ton und nicht in der Weise eines Verhörs ausgesprochen worden wären, so hätte er sie wahrscheinlich beantwortet. Auch gefielen ihm die höhnischen Blicke nicht, mit denen Tifl von den sich herandrängenden Soldaten betrachtet wurde. Das verächtliche Lächeln dieser Leute forderte ihn heraus, ihnen zu zeigen, daß zum Lachen gar kein Grund vorhanden sei.
„Auch du gehörst zu Ihnen!“ behauptete der Offizier. „Ich stehe an des Gesetzes Stelle. Ich bin hier Polizei!“
„Ich auch!“
Da fuhr der Perser um einige Schritte zurück. Er hatte imponieren wollen und sah und hörte nun aber, daß ihm dies nicht gelungen sei.
„Wagst du vielleicht, mit mir zu scherzen?“
„Sehe ich etwa so spaßhaft aus?“
Sein jugendlich schönes, wie aus dunklem Marmor gemeißeltes Gesicht zeigte allerdings keine Spur von Lust zum Scherzen. Der Grundzug unseres Kara war ein steter Ernst, welcher durch einen elegischen Hauch eher erhöht als gemildert wurde. In seinen Augen, die er von der Mutter hatte, lag etwas, was keine zudringliche Berührung duldete. Das wirkte auch jetzt. Der Oberleutnant wagte es nicht, seinen Zorn hervortreten zu lassen; ja es klang sogar, als ob er sich entschuldigen wolle, als er nun
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