22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Wort gesagt, sich aber außerordentlich wacker gehalten hatte, beobachtete ihn dabei mit liebevoll mitfühlenden Blicken. Während des Weiterreitens war er sehr still. Zuweilen biß er die Zähne zusammen. Kara, welcher das alles sah, dachte an die Erzählung des ‚Oberleutnants‘ und was im Zelt des Muhassil mit Hafis Aram geschehen war.
„Hast du Schmerzen?“ fragte er ihn teilnehmend.
Der Scheik zögerte mit der Antwort. Da aber ließ die Frau zum erstenmal ihre Stimme hören:
„Sagtet ihr nicht, ihr wüßtet, was sich in unserem Duar ereignet hat?“
„Ja. Der Offizier hat es uns erzählt.“
„Und da fragst du, ob Hafis Aram Schmerzen leide? Ich sage dir, er ist ein Held, den ich nicht genug bewundern kann! Du hast gehört, wie scheinbar ohne Qual er sprach. Du hast ihn sogar heiter lächeln sehen. Und doch ist er am Leib so blutig wund, daß es mich grauste, als er mir meine Bitte erfüllte, es mir zu zeigen. Man hat ihn geschlagen wie einen Hund. Man ist mit ihm –“
Er unterbrach sie mit einer Handbewegung.
„Darf ich, dein Weib, welches dich so innig liebt; dir nicht mein Mitleid zeigen?“ fragte sie.
„Mitleid?“ antwortete er. „Ist es eine Ehre für einen Mann, bemitleidet zu werden?“
„Aber ich weiß, was für entsetzliche Schmerzen du so still zu tragen und zu beherrschen hast!“
„Du fühlst sie mit mir, weil du mich liebst, und dafür danke ich dir. Doch daß ein Mann, der Scheik eines Stammes, Schläge bekommen habe, das darf er in Gegenwart anderer selbst nicht aus dem Mund seines Weibes hören. Ich bitte dich also, jetzt nicht mehr davon zu sprechen.“
Er reichte ihr seine Hand hinüber. Sie zog sie an ihre Lippen und küßte sie. Es lag ein so inniges und doch zugleich so stolzes Erbarmen in den Augen, die sie kaum von ihm lassen konnte. Und sie war keine Europäerin, sondern sie gehörte einem Volk an, welches man als ‚halb wild‘ zu bezeichnen pflegt! Er aber gab sich nun doppelte Mühe, ihr keine Spur der Schmerzen, welcher er als Mann und Krieger zu verheimlichen hatte, mehr sehen zu lassen.
Man kam durch den Paß, ohne von etwas Erwähnenswertem gestört zu werden. Als man sich dem Ausgang desselben näherte, stieg Kara vom Pferd und reichte dem ‚Kind‘ die Zügel, es zu führen.
„Warum?“ fragte Tifl.
„Ich will leise vorausgehen.“
„Du denkst, daß sich Wächter da vorn befinden?“
„Hast du das nicht selbst für möglich gehalten? Kommt langsam nach! Ist niemand da, so haben wir nichts als nur eine kurze Zeit verloren. Wird der Paß aber bewacht, dann könnte uns ein unvorsichtiges Vorwärtsreiten teuer zu stehen kommen.“
Er ging voran. Die anderen hielten sich so weit hinter ihm, daß er den Hufschlag ihrer Pferde nicht hören konnte. Der Weg machte einige Windungen, welche verhinderten, ihm mit den Augen zu folgen. Als man an der zweiten Krümmung vorübergekommen war, sah man ihn an der dritten stehen. Er deutete warnend nach vorwärts und winkte mit der Hand, zu ihm zu kommen.
„Hast du jemand gesehen?“ fragte der Scheik, als er ihn erreichte.
„Ja. Es sind fünf Soldaten hier.“
„Im Sattel?“
„Nein. Sie sitzen mitten auf dem Weg an der Erde, und ihre Pferde raufen zur Seite am Gestrüpp herum.“
„Ich will sie betrachten“, sagte Tifl.
Er stieg ab und schlich sich vorsichtig bis zur Krümmung hin. Indem er den Kopf nur bis zu den Augen vorstreckte, sah er, wer sich jenseits derselben befand. Dann kam er zurück. Er machte eine beruhigende Handbewegung und sprach:
„Sie sind ganz ahnungslos und also ungefährlich. Wir reiten über sie hinweg. Das wird sie so erschrecken, daß wir schon fern von ihnen sind, ehe sie an ihre Waffen denken können. Darf ich voran?“
„Ja“, nickte der Scheik. „Wir folgen sofort hinter dir her.“
Tifl schwang sich wieder auf. Dann schoß er auf seiner Stute hinter der Krümmung hervor, grad auf die Perser zu und in einem Bogen über sie hinweg. Sie schrien laut auf und wollten aufspringen, warfen sich aber, als sie noch die drei anderen kommen sahen, statt dessen schnell glatt auf den Boden nieder. So kam es, daß sie von den Hufen der über sie hinwegspringenden Pferde nicht berührt wurden. Diese letzteren jagten noch eine ganze Strecke weiter und wurden erst dann, als man sich sicher fühlte, zu langsameren Gang gezügelt. Nun schaute sich Kara nach den Wachen um. Sie hatten sich von ihrer Überraschtheit erholt, kamen aber nicht etwa hinterdrein, sondern sie
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