22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
erzogen werden. Man darf nur freilich nicht darauf achten, wenn er sich dagegen sträubt. Sie sind alle, alle fast noch wie die Kinder!“
„Auch der Ustad? Oder der Peder?“ unterbrach ich sie.
Diese meine Frage brachte sie sichtlich in Verwirrung. Sie sah mich verlegen an, rieb sich mit dem gebogenen Zeigefinger das kleine, unbedachtsame Näschen und ließ ihre runden Wänglein noch beträchtlich röter werden, als sie so schon waren. Dann warf sie plötzlich den Kopf zurück und verriet mir durch den triumphierenden Ausdruck, der sich ihres ganzen Gesichtes bemächtigte, daß sich unter der Ursprungsstelle ihrer langen Haarflechten ein rettender Gedanke eingefunden habe.
„Das sind doch keine Männer!“ sagte sie.
„Was denn?“
„Herren und Gebieter! Du weißt doch, daß es zweierlei männliche Wesen gibt!“
„So?“
„Ja! Nämlich solche, welche zu gebieten, und solche, welche zu gehorchen haben. Die Herren sind schon erzogen; die anderen aber müssen es sich gefallen lassen, daß man es mit ihnen tut.“
„Und wozu seid wohl ihr Frauen da?“
„Ja! Denn zur Erziehung eines Mannes gehört außerordentlich viel Liebe, Geduld und Energie, und diese drei sind nicht bei euch, sondern nur bei uns zu finden. Wenn du das nicht glaubst, so frage nur ‚mein Kind‘! Du wirst von ihm erfahren, was für Mühen und Sorgen mir seine Erziehung bereitet hat und auch heute noch bereitet. Es ist kein Spaß, die Mutter eines Jungen zu sein, der fast ganz genau so alt ist, wie ich selber bin. Er ist sogar einige Monate älter! Ich sage dir, Effendi, es hat keinen geringen Kampf gekostet, mich bei ihm in Respekt zu setzen, denn er glaubte, daß die Pflicht des Gehorsams nach der Körperlänge zu bestimmen und zu bemessen sei. Er aß für drei oder vier Personen, und dadurch sammelte sich in seinem Körper jene heimtückische Kraft zum Wachstum an, welche ihn später so überaus schnell in die Höhe trieb. Es gab eine Zeit, in der ich, wenn ich genau aufpaßte, ihn wachsen sehen konnte. Ich aber blieb klein. Das kränkte mich. Ich wollte so gern in gleicher Länge mit ihm bleiben. Darum begann ich, ebenso viel zu essen wie er. Aber die Kraft wirkte bei mir nicht nach oben hinaus, sondern sie ging in die Breite und rundum im Kreis. Ich wurde kugelrund, anstatt mir seine schlanke Höhe anzueignen. Er war gezwungen, auf mich herabzuschauen, und das erweckte in ihm die Einbildung, daß er überhaupt und in jeder Beziehung über mir erhaben sei. Meine Fülle imponierte ihm nicht; ja, er belächelte sie sogar. Wie mich das betrübte! Ich mußte ja befürchten, daß er meiner mütterlichen Zuneigung gewiß noch ganz entwachsen werde. Diese fast täglich zunehmende Körperlänge entfremdete ihn mir mehr und mehr. Er wurde immer stolzer auf sie. Er sah gar nicht, wie sehr sie ihm schadete. Ein Pferdejunge hat bei seiner bestimmten Größe zu bleiben. Er aber schoß weit über die Achseln seiner Vorgesetzten empor. Das nahmen sie ihm übel. Seine Hosen waren stets zu kurz; seine Ärmel getrauten sich nicht über die Ellbogen hinaus. Das sah nicht schön, sondern häßlich aus, und darum wurde er mehr und mehr zurückgesetzt, obwohl er der geschickteste und gutherzigste von allen war. Das ärgerte ihn. Er wurde grob, besonders mit mir. Sein Magen blieb mir treu, aber sein Herz entfernte sich immer mehr von mir. So wären wir uns gewiß nach und nach immer fremder geworden, bis wir uns gar nicht mehr gekannt hätten, da aber trat ein Ereignis ein, durch welches die Verschiedenheit unserer Gestalten vollständig und für immer ausgeglichen wurde. Weißt du, daß der Islam den Wein verbietet, Effendi? Der Koran will es so.“
„Nein; der Koran will es anders.“
„Wieso? Ich verstehe dich nicht.“
„Die betreffende Stelle lautet: ‚Alles, was betrunken macht, sei untersagt!‘ Also ist jeder betäubende Trank verboten, nicht aber der Wein, besonders falls man ihn so genießt, daß man nüchtern bleibt.“
„Du magst recht haben. Aber ein kluger Muselmann hütet sich lieber gleich ganz vor ihm, weil der Betrunkene nicht eher von dieser seiner Betrunkenheit etwas weiß, als bis er wieder nüchtern ist. Dann macht ihm die Trübsal seines Jammers nicht nur dieses eine Wort, sondern den ganzen Koran plötzlich heilig! Aber der Schah-in-Schah hat zuweilen Gäste, welche nicht Mohammedaner sind. Er muß ihnen Wein geben, wenn sie bei ihm speisen. Darum gibt es einen Kabu (Keller), in welchem viele, viele Flaschen
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