22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
erwachte, war Kara schon wieder ausgeritten, doch ohne Tifl, weil dieser durch verschiedene Besorgungen in betreff der gefangenen Soldaten zurückgehalten wurde. Halef war einmal für kurze Zeit aufgewacht. Er hatte mit Hanneh gesprochen. Es waren zwar nur wenige Worte gewesen, aber so lieb und klar, daß die Gute sich ganz glücklich über diesen Fortschritt fühlte. Als Schakara mir das Frühstück brachte und ich mich nach dem kranken Scheik der Kalhuran erkundigte, antwortete sie:
„Er befindet sich in guter Pflege, denn seine Frau weicht fast keinen Augenblick von seiner Seite. Unser Peder kennt eine gute Salbe, welche die Schmerzen der Wunden stillt. Hafis Aram wird wahrscheinlich nur wenige Tage das Lager zu hüten haben.“
„Wie steht es mit den Soldaten?“
„Sie stecken drüben im Gewölbe. Sie wollten uns vorschreiben, wie sie zu behandeln seien, haben aber zur Antwort bekommen, daß man sich genau so zu ihnen verhalten werde, wie sie es verdienen. Man wird heute wohl einige von ihnen laufen lassen.“
„Einige?“
„Ja. Gäbe man sie alle zu gleicher Zeit frei, so könnten sie durch ihre große Zahl den zerstreuten Bewohnern des Gebirges schädlich werden. Darum wird man von Tag zu Tag nur wenige auf einmal freigeben, und auch diese werden zu Pferd nach so verschiedenen Richtungen über die Grenze gebracht, daß es ihnen gewiß schwer werden sollte, sich zusammenzufinden. Die Offiziere kommen zuletzt daran. Auch sind heut früh Boten ausgesandt worden, welche dafür zu sorgen haben, daß jedermann vor den etwa diebisch Herumstreifenden gewarnt werde. Wen man entläßt, dem wird vorher alles abgenommen, was ihm nicht zu gehören scheint. Man hat sie alle ausgesucht und da außerordentlich viel gefunden, was den Kalhuran von ihnen abgezwungen worden ist.“
„Diese sind natürlich auch benachrichtigt worden?“
„Gewiß! Das war ja das allererste, was getan werden mußte! Sie brauchen nur zuzugreifen. Was man ihnen unter dem Vorwand der Steuern weggenommen hat, das wird nur von ein paar zurückgebliebenen Soldaten bewacht. Diese wird man einfach fortjagen. Sie sind fast alle keine Mohammedaner, sondern Armenier aus der Vorstadt Dschulfa bei Isfahan.“
„So werden sie dorthin gehen und Lärm machen. Dann kommt ein neuer und noch viel schlimmerer Muhassil zu den Kalhuran!“
„Schlimmer als dieser Omar Iraki war, kann keiner sein! Auch hat unser Ustad noch während dieser Nacht einen Bericht geschrieben, welchen sichere Boten zu dem Beherrscher bringen. Eine Abschrift davon bekommt der Hekim-i-Schera (oberster Richter) von Isfahan. Du siehst also, daß nichts versäumt worden ist, was uns von der Vorsicht geboten wird. Wir haben nichts, gar nichts zu befürchten, denn der Schah-in-Schah hat unsern Ustad lieb, und wir wissen gar wohl, daß unsere Gefangenen gar keine eigentlichen Soldaten sind.“
„Gesindel, welches der Muhassil zusammengetrommelt hat?“
„Ja. Nicht einer von ihnen trägt eine wirkliche Uniform. Sie können nur froh sein, daß wir sie nicht allesamt dahin schicken, wohin wir die Massaban geschickt haben. Wahrscheinlich hätten wir es getan, wenn es nicht zu viele Mühe machte. Es bedarf dazu einer ganzen Schar von Leuten, welche den Transport zu führen und zu bewachen haben. Mein Oheim hat also hierauf verzichtet.“
Oheim! Es war zum erstenmal, daß sie sich einer Bezeichnung der Verwandtschaft bediente. Ich wußte seit gestern wohl, wen sie jetzt meinte, tat aber doch, als ob es mir unbekannt sei, und fragte:
„Du hast einen Oheim hier?“
„Ja. Weißt du das noch nicht? Habe ich es dir noch nicht gesagt? Ich könnte sogar von zweien sprechen.“
„Darf ich erfahren, wer es ist?“
„Unser Peder. Sein Vater Abd el Fadl war der Sohn einer Schwester unserer Marah Durimeh.“
„Und der zweite Oheim?“
„Das ist der Ustad selbst. Auch er ist mit Marah Durimeh verwandt; aber wie, das weiß ich nicht genau.“
„Hast du ihn nicht einmal gefragt?“
„Ich tat es einst. Es war da draußen vor der Halle, da wo du jetzt des Abends zu sitzen pflegst. Wir waren allein und sprachen von ihr. Da fragte ich ihn. Er antwortete nicht sogleich. Er sah so lange und so still hinüber nach unserm Gotteshaus, welches im Mondschein wie ein frommes Märchen aus dem Paradies lag. Dann legte er mir die Hand auf das Haupt und sagte: ‚Meine Verwandtschaft mit Mara Durimeh? Was weißt du, liebes Kind, von dem, was eigentlich Verwandtschaft ist! Sie ist nicht leiblicher
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