22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
von Stufen abhanden gekommen waren. Es gab Eingänge ganz zur ebenen Erde und aber auch solche, die man nur per Leiter erreichen konnte.
In so ganz verschiedener Höhe lagen auch die Fenster, bei denen die Ungleichheit noch viel größer als bei den Türen war. Keines befand sich in gleicher Höhe mit dem anderen. Neben breiten, hohen Saal- und Kirchenfenstern gab es kleine, arme Gucklöcher, in die kein Mensch den Kopf zu stecken vermochte. Hier war eines vollständig unbeschützt, dort ein anderes mit einem so starken Laden versehen, als ob man sich vor ganzen Räuberbanden zu fürchten habe. Man denke sich hierzu die ebenso unregelmäßig und verworren angebrachten, oft ganz schief gehenden Haupt-, Brüstungs-, Gurt-, Kämpfer- und Sockelgesimse, die Eckarmierungen und Lisenen, die ‚Säulen- und Pilasterstellungen‘, zwischen denen es keine einzige verbindende Idee gab, so kann man sich wohl schwerlich darüber wundern, daß der Fremde, von welchem Tifl mir erzählte, dieses Bauwerk häßlich genannt hatte. Ein anderer hätte es wohl gar als lächerlich bezeichnet, was doch noch schlimmer als nur häßlich ist!
Und das Dach, oder vielmehr die Dächer? Denn ein einheitliches Dach, das gab es nicht. Ich sah zwei einander nahestehende, sehr hohe Abteilungen, welche noch gar nicht ausgebaut waren, von ihnen eingeengt aber, kaum einige Meter breit, ein winziges Parterregelaß, dessen nadeldünne Turmspitze zwischen den beiden anderen hoch empor und weit über sie hinausragte. Tief unten eine Zwiebelkuppel, hoch oben über ihr ein Schindeldach! Daneben ein mit Ziegeln gedeckter Balkenreiter! An dem einen Ende ein runder Quaderturm, stolz für die Ewigkeit gebaut, und doch schon fast in sich zusammengestürzt, weil auf die allerschwächste Stelle der Unterlage gesetzt. An dem anderen ein hagerer, schiefer Campanile, auch noch nicht fertig, weil er beim Weiterführen unbedingt eingestürzt wäre, denn man hatte ihn zwar absichtlich schief gebaut, aber den Schwerpunkt falsch berechnet.
Wer war der Architekt, der dieses Unikum ersann? Oder hat ein solches Quodlibet gar nicht in seiner Absicht gelegen? Hat er keinen Plan, keine Zeichnung hinterlassen? Hat er keine Weisungen gegeben? Kein einziges Wort über die Aufgaben gesagt, die er den Arbeitern zu stellen hatte? Sollte es nicht eine Wohnung für viele unter einem einzigen Dach werden? Wo sind die hin, welche anfingen, und dann die, welche aufhörten, hier zu bauen? Warum steht das ganze Gebäudekonglomerat jetzt leer? Warum haben nicht einmal die Dschamikun sich entschlossen, es zu bewohnen? Befürchten sie, daß es zusammenbrechen werde? Oder ist ihnen ihr auf Gottes ebenem Boden und am klaren Wasser liegender Duar lieber als die fremdartige, untrauliche Baute, die wie die Bergeszellen am Dschebel Qarantel bei Jericho nur unfreiwilligen Anachoreten zur Wohnung dienen konnte? –
Abseits von diesen bergan kletternden Etagen und von ihnen durch die schon wiederholt erwähnte Pferdeweide getrennt, lag in südlicher Richtung ein anderes Bauwerk, welches nun jetzt mein Auge auf sich zog.
Der Grundfelsen stieg hier viel weiter als da drüben den Berg empor. Er trug ganz so wie dort, aber bedeutend höher, die Riesenmauer, von deren kolossalen Quadern der Garten des Ustad und der Vorplatz gehalten wurden, auf dem ich im Schatten der Dälbiplatanen gesessen hatte. Die Breite des Vorplatzes und Gartens freigebend, stand hier nun das gastliche Haus, dessen Bewohnern wir so viel, so viel zu verdanken hatten.
Es war mir möglich gewesen, schon einen Teil desselben zu sehen, vom Vorplatz aus. Aber der lag so nahe am Gebäude, daß ich wohl an ihm emporschauen, es aber nicht ganz überblicken konnte. Nun sah ich es vollständig vor mir liegen. Da bemerkte ich denn, daß es aus einem uralten und aus einem späteren Mauerwerk bestand.
Zu dem ersteren gehörte das Gewölbe, in welchem jetzt die gefangenen ‚Soldaten‘ steckten. Es stieg dann noch um zwei Stockwerke höher empor und schien ein altpersischer Wartturm gewesen zu sein, zum Aufenthalt für die Personen bestimmt, welche man in unserer Ritterzeit die Knappen nannte. Das einstige ‚Herrenhaus‘, um zwei Geschosse höher gebaut, lag etwas davon entfernt. Sein glattes Dach hatte eine Mauerkrönung nach altassyrischer Weise. Haus und Wartturm waren später durch den jetzigen Versammlungssaal verbunden worden, in welchem Halefs und mein Lager sich befanden. Ich sah auf dem Dach dieses Saales Laubhütten stehen, in
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