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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sei? Hatte er das Nahen der Flut geahnt und baute höher, um sich vor ihr zu schützen? Oder ging der Geist des ersten Brudermords, Kains Gespenst, im Land um? Mußte der Mensch sich von den Menschen durch Mauern trennen, die selbst für Giganten unersteigbar waren? Denn die Riesenquader, welche ich auf Gottes Fundament an- und übereinandergefügt sah, hatten wenigstens dieselben Dimensionen, wie die weltberühmten Mauersteine, welche die Umfassungsmauer von Baalbek bildeten. Ich selbst bin, um ihn auszuschreiten, dort auf einen Block gestiegen, den man Chadschar el Hubla nennt, und habe ihn über einundzwanzig Meter lang, mehr als vier Meter hoch und genau vier Meter breit gefunden. Und hier am ‚hohen Haus‘ zählte ich sechs Lagen solcher Steine. Sie waren nicht durch Mörtel, sondern durch ihre eigene Schwere miteinander verbunden und hatten so fein und genau geschliffene Seiten, daß von da aus, wo ich stand, selbst nach verflossenen Jahrtausenden die Fugen nicht überall deutlich zu erkennen waren. In gleicher Höhe mit ihnen lagen in den Seiten des Berges die Brüche, denen man diese Kolosse entnommen hatte. Sie waren dunkel, fast schwarz gefärbt. Welche Art von Gestein, das konnte ich natürlich von so weit aus nicht bestimmen.
    Was für Innenräume waren durch diese Quader wohl nach außen abgeschlossen worden? Es gab in gewissen Zwischenräumen Öffnungen, um Luft und Licht den Zutritt zu gestatten. Ich war sehr wißbegierig, zu erfahren, ob man noch heut von oben da hinuntersteigen könne. Da die Treppe eine spätere Erfindung ist, so hatte früher wohl ein steinerner Gangweg hinaufgeführt. War ein solcher doch sogar bis fast auf die Spitze des babylonischen Turms, natürlich in Spiralen, angelegt gewesen! Jene Zeit verwendete kolossale Kräfte auf den Gebrauch kolossaler Mittel. Waren die Zwecke entsprechend groß? Wer will und kann die Antwort übernehmen?
    Diese Riesenquadermauer erreichte nicht die volle Breite des Felsenfundaments. Es war überhaupt jedes folgende Stockwerk schmaler als das vorhergehende gebaut, dafür aber mehr artikuliert. Je mehr der Geist den Stoff beherrscht, desto weniger ist von dem letzteren zu gleichem Zweck nötig. Die obere Lage der Steine war etwas vorgerückt, vielleicht den sechsten Teil von ihrer Breite. Dadurch war der Abschluß erreicht worden, der zugleich als Brüstung für das jedenfalls glatte Dach gedient hatte.
    Welchem Zwecke hatte dieser zyklopische Bau gedient? Der Verehrung des großen, einzigeinen El, dessen Name in so vielen Gottesnamen wiederklingt? Warum ihm, dem ‚Allanwesenden‘ und ‚Nieverschwindenden‘ diese unzerstörbaren Felsenblöcke auf unwandelbarer, von der Natur selbst hergestellter Unterlage?
    Wie lange wohl hatte das obere Dach dieses Souterrain, wie ich es nennen will, das Sonnenlicht geschaut? Wer kann es sagen! Dann waren andere gekommen und hatten weitergebaut. Die folgende Etage war, wie bereits erwähnt, schmaler; auch trat sie etwas zurück, um eine Vorhalle bilden zu können. Auch sie bestand aus schweren Werkstücken, welche teils dem schon angegebenen, teils den darüberliegenden Brüchen entnommen waren. Das Material der letzteren hatte hellere Farbe. Darum schaute die Etage nicht so sehr tiefernst, fast drohend wie das Erdgeschoß, zu mir herüber. Sie war nicht hoch, zeigte dafür aber schon das Bestreben der Gliederung und des figurenbildenden Meißels. Die vordere Seite wurde nicht von einer kompakten Mauer gebildet, sondern von starken, breiten, ungemein tragfähigen Pfeilern, deren Zwischenräume dem Sonnenlicht direkten Zutritt gewährten. Der Abschluß über ihnen ließ schon den Versuch zur Bogenlinie sehen. Die beiden Pfeiler, welche den Haupteingang bildeten, fielen mir ganz besonders auf. Es traten aus ihnen zwei höchst eigenartige Hochreliefs hervor, welche sitzende Figuren bildeten, an denen die Zeit leider nicht schonend vorübergegangen war. Doch konnte man noch recht wohl erkennen, daß es sich um die Darstellung eines Wesens handelte, dessen Personifizierung vier Gesichter hatte. Durfte ich diese Figuren nur als Andeutung der Himmelsrichtung, der vier Winde betrachten? Ganz gewiß nicht. Wer wurde mit vier Gesichtern abgebildet? Brahma. Aber ihm direkt war doch nie ein Tempel geweiht! Und die Reste, welche von der einstigen Vorhalle noch übrig waren, deuteten auf das alte Persien, nicht aber nach Indien hin. Sie war von einem auf leichteren Pfeilern ruhenden Dach überdeckt gewesen. Wahrscheinlich

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