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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war ich ihr nun selbst verfallen. Diesen letzteren Umstand aber durften die Dschamikun nicht erfahren. Wer wahrhaft dankbar ist, wird nie vom Danke sprechen! – – –

FÜNFTES KAPITEL
    Ahriman Mirza
    Eine musikalische Familie. Der Vater spielt die erste Violine, der Onkel das Cello, der eine Sohn die zweite Violine und der andere die Viola. Für heut sind alle Freunde eingeladen. Es soll ein Quartett gegeben werden. Kammermusik. Ob von Mozart, Haydn oder einem anderen, das weiß ich nicht. Aber daß man nur Schönes, Gutes, von den vier Künstlern Durchdachtes und Verstandenes hören werde, davon ist man überzeugt. Man freut sich also auf den Genuß. Man kommt. Man weiß, daß man gern gesehen ist. Man nimmt Platz. Die Noten liegen auf den Pulten. Die Instrumente sind bereit, schon wohlgestimmt. Auch die Zuhörerschaft befindet sich in jener Stimmung, welche dem Erfolg gern und einsichtsvoll entgegenkommt. Da sind die vier. Sie nehmen Platz. Sie greifen nach den Instrumenten. Durch den Raum geht das Geräusch leise gerückter Stühle; hier ein erwartungsvolles, kurzes Räuspern, dort das Rauschen bequemgelegter Seide. Dann tiefe Stille. Jetzt! Die Bogen berühren die Saiten. Die ersten Takte erklingen. Die Erwartung hat sich in offenruhende Empfänglichkeit verwandelt. Man lauscht.
    Da wird die Tür aufgerissen.
    Ein Feind der Familie kommt lärmend herein, rücksichtslos störend, ungeladen. Er erklärt, daß er die Absicht habe, einen Strafprozeß gegen die Familie zu führen, und macht in ganz ungesitteter Weise die Anwesenden mit dem Inhalt der Anklage bekannt. Man unterbricht ihn. Man entzieht ihm das Wort. Man sagt ihm, daß er Unrecht habe und daß doch jetzt und hier nicht die rechte Zeit und der rechte Ort zu solchen Dingen sei. Man sei zu einem Kunstgenuß versammelt, nicht aber, um sich mit dem jus criminale zu befassen. Da entschließt er sich, mit zuzuhören, nimmt einen Stuhl und setzt sich nieder.
    Soll man die unangenehme Szene gewaltsam beenden?
    Ihn hinauswerfen?
    Nein!
    Man entschließt sich, ihn gewähren zu lassen und das Stück von Neuem anzufangen. Aber in welcher Stimmung befindet man sich nun? Werden die in Geist, Herz und Gemüt anzuschlagenden Akkorde so befriedigend ausklingen, wie es vorher mit froher Bestimmtheit zu erwarten war?
    Das ist ein Bild. Ich bringe es, um begreiflich zu machen, daß auch die vorhin vom Glockenton berührten Saiten unseres Innern durch den rauhen Gedanken der Blutrache vollständig zum Schweigen gebracht worden waren. Ob sie wieder so ungezwungen und rein erklingen würden wie vorher, das war wohl zu bezweifeln. –
    Tifl war, während ich mit dem Multasim sprach, nach dem Tempel gegangen. Als ich nun zu diesem zurückkehrte, hatte er von meinem Platz ein Kissen geholt und an eine der beiden Säulen des hinteren Ausganges gelegt. Der Chodj-y-Dschuna stand dabei. Ich sah, daß er mir etwas zu sagen hatte.
    „Wir sollen dich nicht stören, Effendi“, entschuldigte er sich. „Ich bitte dich aber, für kurze Zeit zunächst hier zu bleiben. Hier ist der beste Platz, zu hören, wie es klingt, wenn alle Winde zum Gebet kommen. In deiner Ecke dort würde dich die Harfe stören.“
    Hierauf ging er nach der Mitte des Tempels, wo eine Harfe lag. An der einen Ecksäule stand Schakara, die ihrige vor sich haltend. Das veranlaßte mich, auch nach den drei anderen Ecken zu sehen. Sie waren in ganz gleicher Weise von Dschamikinnen besetzt. Am Haupteingang hatte sich der Ustad und der Peder einander gegenüber niedergelassen. Zu ihren beiden Seiten saß die Dschema. Rund um das Gebäude hatten sich die Bewohner und die Bewohnerinnen des Duar aufgestellt. Es war so still, man sagt, ‚wie in einer Kirche‘.
    Da gab der Ustad mit der Hand ein Zeichen. Der Chodj-y-Dschuna griff einige einleitende Akkorde, um das Metrum anzugeben. Hierauf die vorige Stille wieder. Ich ahnte, was nun kommen sollte, und schloß die Augen.
    Wo gab es die Lüfte, als es Anfang war? Im göttlichen Gedanken! Unendlich mild, als beginne ein warmer Sonnenstrahl mit leiser Zärtlichkeit dem anderen zuzuflüstern, ward dieser Gedanke jetzt zum ersten Ton. Es war ein einig-ungeteilter, aber doch kein einzelner Ton. Er erklang nicht hoch, und doch war er erklungen. War er nach Schwingungen zu messen? Nein! Das irdische Maß ist ja doch nur ein Notbehelf. Es wird sich immer irren! In diesem ersten, einen Ton lagen, wie die Strahlen im Licht, alle die unzählbaren Klänge der Zeit und Ewigkeit

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