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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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außer seinem Willen und seinem Enthusiasmus auch seinem südlichen Temperament zu. Es war Feuer in ihm. Aber wenn es auch wirkte, so lange es möglich war, wenn es verlöschte, hatte ich meines Erachtens mit einem um so schwereren Rückfall zu rechnen. Darum legte ich mich, als wir gegessen hatten, nicht ohne Sorgen an seine Seite nieder. Glücklicherweise bewahrheiteten sich diese meine Befürchtungen nicht, wenigstens nicht in dem Maße, wie ich es erwartet hatte. – – –

DRITTES KAPITEL
    Am Tode
    Ich schlief infolge des gestrigen Nachtwachens heute sehr rasch ein und wäre wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch nicht aufgewacht, wenn Halef mich nicht aufgerüttelt hätte.
    „Verzeih, Sihdi, daß ich dich wecke!“ sagte er. „Ich glaube, das alte Weib will wieder kommen.“
    „Spürst du ihr Nahen?“ fragte ich.
    „Nicht nur ihr Nahen. Sondern ich bemerke, daß sie schon ganz vor mir steht.“
    „Halef, du sprichst mit Mühe! Deine Zähne klappern!“
    „Nein; aber es hält mir den Mund halb offen, ganz so, wie einem Menschen, der sehr friert. Gib mir von deiner Arznei!“
    Ich folgte dieser Aufforderung. Als er die absichtlich vergrößerte Gabe genommen hatte, erkundigte er sich:
    „Weißt du, was Zittern ist, Sihdi?“
    „Ja, jedermann weiß das wohl.“
    „Aber hast du selbst schon einmal gezittert?“
    „Ich glaube, nein.“
    „Ich auch nicht, weder aus Angst noch aus irgendeinem anderen Grund. Aber, denke dir, jetzt zittre ich! Oder vielmehr, nicht ich tue es, sondern das alte, zahnlose Fieberweib, welches nun doch in mich hineingekrochen ist, zittert in mir. Ich glaube, aus Furcht, schnell wieder heraus zu müssen. Und sodann ist es mir, als ob mir ein Gürtel um den Kopf gelegt und übermäßig fest zugeschnallt worden sei. Meine Beine sind mir abhanden gekommen. Ich weiß zwar ganz genau, daß ich sie noch habe, aber ihr Selbstbewußtsein ist ihnen verloren gegangen. Sie können sich nicht mehr auf sich selbst besinnen, und darum ist es gar nicht zu verwundern, daß sie auch mich ganz und gar vergessen haben, obgleich ihnen das verboten ist. Ich werde einmal versuchen, sie von ihrer Pflichtvergessenheit zurückzubringen.“
    Er erhob sich langsam und unsicher, blieb aber nur kurze Zeit stehen, ließ sich dann wieder nieder und sagte:
    „Das ist eine ganz eigentümliche Empfindung, die ich dir wohl nicht deutlich genug machen kann. Es scheint mir, als ob ich da unten keine Knochen, keine Sehnen und kein Fleisch mehr habe, sondern bloß noch die Haut, und diese ist so außerordentlich dünn, daß ich von innen heraus den Stoff der Hose sehen kann.“
    Welch naive und doch bewundernswerte Deutlichkeit, mit welcher er diesen Schwächezustand seiner Glieder beschrieb!
    Er war in dieser Beziehung ja schon überhaupt unübertroffen! Er verstand es, selbst für das unerklärbar Scheinende Worte zu finden, welche trotz ihrer Sonderbarkeit fast stets das Richtige trafen.
    Nun war ich fest überzeugt, daß er keinen Augenblick mehr werde schlafen können. Jeder Arzt hätte das mit der größten Bestimmtheit behauptet. Aber ich sollte sogleich vom Gegenteil überzeugt werden, denn er wickelte sich in seine Decke ein und sagte:
    „Der Frost ist weg, ganz plötzlich weg, wohl weil ich aufgestanden bin. Ich werde wieder warm. Nun bin ich müd, so sehr müd. Ich werde wieder schlafen. Gute Nacht, mein Sihdi!“
    „Gute Nacht, mein lieber Halef!“
    „Lieber Halef? So sagst du zu mir? Hast du mir verziehen?“
    „Von ganzem Herzen!“
    „Ich danke dir! Wollen ja nicht vergessen, einander ohne alle Unterbrechung und ohne alles Aufhören recht, recht lieb zu haben! Du hast mir vergeben, aber ich selbst mir nicht. Ehe ich dich weckte, habe ich über heut nachgedacht. Ich war nicht gut zu dir, nicht höflich und bescheiden. Das ist zwar nicht dein guter Halef, sondern jener böse Hadschi gewesen, der immer, immer Fehler macht; aber da ich diese seine immerwährenden Dummheiten nicht zu dulden habe, muß ich mich ganz ebenso wie ihn selbst anklagen. Er hat dich beleidigt und gekränkt. Das war schlecht, nicht bloß von ihm, sondern auch von mir!“
    Nun war er still, der liebe prächtige Kleine. Ich lauschte. Er bewegte sich nicht mehr, und als ich mich nach einiger Zeit zu ihm hinüberbog, bemerkte ich, daß er eingeschlafen war. Er wachte zu meiner großen Freude auch nicht eher auf, als bis die Dinarun aufstanden und er durch den nun entstandenen Lärm aufgeweckt wurde. Da stand er auf, aß und

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