22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
dennoch blieb er grad in diesem Augenblicke stehen, drehte sich um und rief uns zu:
„Sallab kam, und Sallab geht. Er hat weder Brot, noch Fleisch, noch Salz, noch Wasser hier genossen; er ist keines anderen als nur Allahs Gast. Doch was er sprach, das war zu eurem Heile!“
Hierauf ging er weiter, bis er in einer Terrainfalte verschwand. Halef hielt meine Hand noch fest. Jetzt zog er sie noch näher an sich und fragte:
„Nicht wahr, du reitest mit, Sihdi?“
„Ja“, antwortete ich.
„Sogleich?“
„Ja.“
Was wollte oder konnte ich anders sagen, da der Scheik bei uns stand, in dessen Gegenwart ich doch nicht sprechen konnte, wie ich wollte.
„Ich danke dir, Sihdi!“
Bei diesen Worten gab der Hadschi meine Hand wieder frei.
„Nein, danke nicht mir, sondern dir selbst! Denn du bist die Quelle dieses meines Entschlusses. Ich wollte erst morgen entscheiden. Du hast es schon jetzt getan, und so wollen wir wünschen, daß wir es nicht zu bereuen brauchen!“
„Es ist zu unserm Heil. Der Fakir hat es gesagt, Sihdi! Und da es denn beschlossen ist, so wollen wir auch nicht lange zögern. Um mich brauchst du keine Sorge zu haben. Das zahnlose Weib ist für immer fort. Ich bin so gesund und stark, daß ich mich schäme, in der Sänfte gesessen zu haben wie eine kraftlose Urahne sämtlicher Großmütter aller kranken Schwiegereltern. Du hast dich um nichts zu bekümmern. Ich werde für alles sorgen, auch für Futter für die Pferde.“
Als er das sagte, sah er so frisch und munter aus, als ob die Sänfte vollständig überflüssig gewesen sei. Der Scheik forderte ihn auf, mit ihm in das Zelt zu gehen; er wolle ihm den Vorrat von Bla ed Dud (Wurmstichige Datteln, Pferdefutter) zeigen. Er folgte ihm, und da ich nun allein war, so schlenderte ich langsam durch das Lager und dann über dasselbe hinaus, um vollends bis auf die Kuppe des Berges zu steigen. Als ich da oben angekommen war, sah ich den Fakir über den jenseitigen Abhang schreiten. Indem ich ihn mit den Augen verfolgte, blieb er stehen, hob den rechten Arm empor, bewegte ihn, als ob er jemand warnen wolle, und ging dann weiter. Wem hatte das gegolten? Mir? Geheimnisvoller Mann! Warum hatte er bei den Dinarun weder gegessen noch getrunken? Und warum hatte er uns noch besonders hierauf aufmerksam gemacht? Gab es für ihn einen Grund, so vollständig auf die Gastlichkeit dieser Leute zu verzichten? Fakire sind ja immer sonderbare Leute; warum sollte grad dieser weniger seltsam gehandelt haben?
Als ich in das Lager zurückkam, waren die Zurüstungen zum Aufbruch flott im Gange. Halef hatte die Pferde getränkt und die Futtersäcke mit Bla ed Dud gefüllt. Er teilte mir mit, daß man in zwei Abteilungen reiten werde. Die Mehrzahl sollte sich beeilen, die Kundschafter, welche den Dschamikun heimlich folgten, so bald wie möglich einzuholen. Die übrigen waren dazu bestimmt, mit den Frauen und Kindern und der Bagage langsamer nachzukommen.
Der gute Hadschi war ganz Feuer und Flamme, und ich hütete mich wohl, seine Begeisterung herabzustimmen. Es mußte vielmehr nun meine Sorge sein, ihm diesen seinen Enthusiasmus möglichst zu erhalten. „Der Tod steht an seiner Seite und streckt die Hand nach ihm aus; du aber siehst es nicht!“ Diese Worte des Fakirs wollten mir nicht aus den Ohren. Ich mußte mir ja sagen, daß die jetzige Munterkeit Halefs nicht von langer Dauer sein werde. Der Geist konnte nur solange Herr des erkrankten Leibes sein, als er anregende Sorge und Beschäftigung hatte; dann war der Rückschlag sicher zu erwarten. Ich hatte wohl kaum jemals mich so schweren Herzens in den Sattel gesetzt wie heute; er aber ritt heiter und unbefangen neben mir her und brachte es sogar fertig, über meine Bedachtsamkeit zu scherzen, die ihn zu dem schnellen Entschluß gebracht hatte, durch sein Ehrenwort alle meine Weiterungen abzuschneiden.
Wenn ich mich geirrt hatte, sondern die Krankheit, welche ich vermutete, wirklich im Anzug war, so mußte ich nun die psychische Kraft bewundern, welche jetzt so nachdrücklich und so lange die Herrschaft über die Symptome dieser Krankheit behauptete. Es verging der ganze Nachmittag, ohne daß sich eine Ermüdung bei ihm zeigte. Wir ritten sogar noch einen Teil des Abends weiter, um für heut eine möglichst große Strecke zurückzulegen, und als wir dann zur Nachtruhe anhielten, sprang er so munter vom Pferd, als ob er erst vor kurzem aufgestiegen sei. Ich schrieb diese außerordentliche Widerstandsfähigkeit
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