22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
aufrichtete, war mein Auge wieder klar.
„Und nun komm, wir müssen baden“, forderte mich Halef auf.
„Aber ja nicht entfernt voneinander. Wir haben beisammen zu bleiben, damit wir einander helfen können, falls auch das Wasser um uns tanzen sollte.“
Eine hierzu geeignete Stelle war bald gefunden. Ich stieg zuerst in die für uns jedenfalls außerordentlich wohltätige Flut. Sie war am Rand seicht, wurde aber bald sehr tief. Ich schwamm hinaus. Das war nach dem kaum vorübergegangenen Schwindelanfall vielleicht eine Unvorsichtigkeit, aber ich nahm an, daß diese Bewegung mir nützlich sein werde. Jedoch nicht lange, so kehrte ich um. Ein Luftzug kräuselte die Oberfläche des Wassers, und dieses Kribbeln und Krabbeln und Flimmern und Funkeln ging mir durch das Auge ins Gehirn. Ich fühlte mich unsicher.
Als ich wieder Grund gewann, mußte ich nach Halef suchen.
War er denn noch nicht im Wasser?
Da wurde ich durch eine Bewegung aufmerksam gemacht. Ich näherte mich der betreffenden Stelle. Da lag er, lang ausgestreckt, den Kopf hintenüber gebeugt, so daß nur Mund und Nase außerhalb des Wassers waren. Diese Situation war eine spaßhafte; aber das Lachen verging mir, als ich vollends herankam und den Körper sah. Der ganze Leib war voller Flecken, die eine bläulich-dunkle Färbung hatten.
Typhus! Wirklich und wahrhaftig Typhus!
War es denn eine Menschenmöglichkeit, daß sich jemand bis zu diesem vorgeschrittenen Stadium der Krankheit aufrecht halten und zuletzt sogar noch einen solchen Parforceritt mitmachen konnte?! Ein Kind der sogenannten ‚Zivilisation‘ hätte das gewiß nicht fertig gebracht! Nur der durch und durch kerngesunde, abgehärtete Körper des enthaltsamen Nomaden, der die Laster und entnervenden Genüsse der ‚höher stehenden‘ Intelligenz nicht kennt, kann eine solche Gegenkraft und Widerstandsfähigkeit zeigen. Neben diesen körperlichen Eigenschaften hatten auch die seelischen des kleinen Hadschi das Ihrige dazu beigetragen, daß er nicht schon längst zusammengebrochen war.
Vielleicht hatten auch rein geographische Faktoren mitgewirkt. Aber mochte das sein, wie es wollte, die Tatsache war jetzt da. Sie lag vor meinen Augen da im Wasser, bedeckt mit Petechien, deren vorher scharfe Ränder schon begannen, ineinander überzugehen. Als ich das sah, tat mein Kopf mir plötzlich weh, und es ging, mich schüttelnd, ein Frost durch meine Glieder. Da kam Halefs Kopf schnell ganz nach oben.
„Du frierst, Sihdi? Ich sehe es!“ sagte er. „Geh du an Land! Ich werde noch liegen bleiben.“
„Das ist schon vorüber“, antwortete ich. „Aber Freund, wie siehst du aus?“
„Gefleckt wie ein Leopard! Nicht wahr? Aber, aber – was sehe ich da?“
Er erhob sich ganz, zeigte auf meine Brust und fuhr fort:
„Da ist es auch bei dir! Genau so hat es bei mir angefangen!“
Ich schaute an mir hernieder. Was ich vorher noch nicht bemerkt hatte, das sah ich jetzt: auch ich hatte Flecken, allerdings noch klein. Sie lagen unterhalb der Schlüsselbeine.
„Bist du erschrocken?“ fragte der Hadschi.
„Warum schweigst du? Warum sagst du nichts? Ist es eine Krankheit? Eine schwere oder eine leichte? Kennst du sie?“
„Ich kenne sie, Halef“, antwortete ich. „Und damit du keine Fehler machst, muß ich aufrichtig mit dir sein. Sie ist fast ebenso gefährlich und langwierig wie die Pest, welche uns damals dem Tod nahe brachte. Von zehn Kranken sterben zwei –“
„Aber warum sollen grad wir diese beiden sein?“ unterbrach er mich. „Es mögen nur erst noch die acht anderen kommen! Eher mitzurechnen, fällt mir gar nicht ein!“
„Auch ich hoffe, daß wir dem Schlimmsten entgehen. Wir sind beide in Beziehung auf unsere Gesundheit keine Durchschnittsmenschen; also können die von mir erwähnten Ziffern nicht für uns gelten. Glücklicherweise bin ich im Besitz der besten Gegenmittel, Kampfer und Chinin. Kalte Bäder müssen wir haben. Wenn es mir in den Sinn kommt, bleiben wir gleich hier. Unser Leben muß uns ebenso teuer sein, wie die Pflicht der Gastlichkeit. Aber wo nehmen wir die Pflege her, die uns so nötig ist?“
„Daher, von wo sie uns damals gekommen ist, vom Himmel Allahs, der uns nie vergessen hat und nie vergessen wird. Mein guter, mein lieber Sihdi, denke doch daran, daß wir auch damals keinen Menschen hatten, der sich unser annehmen konnte. Wir lagen in der größten Einsamkeit, unter uns die pesthauchende Erde, doch über uns das große, lichte Zelt, von
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