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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Abgrund zwischen hier und dort, er schwand; dein Assil trug das Christentum mir zu. Die finstere Schlucht dort ist verschwundenes Land. Ich heiße dich, den Westen, hoch willkommen! Krank liegt der Osten hier zu unseren Füßen, in tiefer Ohnmacht, ganz wie Halefs Körper. Doch du und ich, wir werden ihn erwecken, und unsere Liebe soll ihm Rettung sein!“
    Er zog mich an sich und küßte mich. Ich erwiderte diesen Kuß so gern, so gern, obwohl er noch als Fakir gekleidet und darum in diesem Augenblick nicht etwa ein Ideal körperlicher Sauberkeit war. Dann fuhr er fort: „Das war das Gesicht, welches über mich kam, für einen einzigen, noch weniger als kurzen Augenblick; aber dieses Schauen in die Ferne der zukünftigen Zeit wird von seiner Deutlichkeit nichts verlieren, denn was die Seele unserm Auge zeigt, das darf von dem Geist nicht vergessen werden! – Nun erlaube mir, für Hadschi Halef zu sorgen. Ich gehe fort, um Befehle zu erteilen, werde aber schnell zurückkehren.“
    Er entfernte sich. Welch ein sonderbarer Empfang von seiten dieses Mannes! Es war ein ganz eigentümlicher Eindruck, den er mit seinen Worten auf mich machte. Dazu die nun hereingebrochene Nacht. Über mir die hochragenden Bäume, durch welche ein schweres, ernstes Rauschen ging. Vor mir ein vollständig unbekanntes Terrain, mit Menschen, die mir fremd und dennoch Freunde waren. Hinter mir die durch unsere Entschlossenheit besiegte Tiefe, über welche die rufenden Stimmen der Massaban herüberklangen. Sie wollten Antwort von mir haben; ich gab sie ihnen nicht. Mit diesen Leuten wollte ich nichts mehr zu tun haben. Ich war entschlossen, wenn möglich, keinen von ihnen jemals wiederzusehen. Ich nahm an, daß wir uns mit ihnen gar nicht mehr zu beschäftigen brauchten; die Dschamikun hatten jedenfalls Leute genug, mit ihnen fertig zu werden. Halef lag noch genau so da, wie er niedergefallen war. Dem Atem fehlte die Stärke, die Brust zu bewegen, und den Puls konnte ich kaum fühlen. Ich rief seinen Namen, sogar ganz nahe bei dem Ohr; es machte keinen Eindruck auf ihn. Seine Hände, seine Arme, seine Glieder waren vollständig schlapp. Es lag vor mir ein Körper, der weder Kraft noch Willen und kaum noch Leben hatte. Das war der hochenergische, strotzende und sprühende Hadschi Halef, der sich so gern ‚den größten Helden des Morgenlandes‘ nannte. Als ich ihn so vor mir liegen sah oder vielmehr ihn unter meinen Händen fühlte, vergaß ich natürlich ganz, auch an mich selbst zu denken. Dennoch bemerkte ich, daß mir, wenn ich mich bückte, der Kopf schwer nach vorn fallen wollte. Es war, als ob in meinem Gehirn eine reibende und darum schmerzende Bewegung vorhanden sei. Die Augenlider wollten nicht geöffnet bleiben. Es ging durch mich, wohl ebenso geistig wie auch leiblich, eine Empfindung, welche nur durch die Worte ausgedrückt werden kann: du hast dich gesträubt, so lange du mußtest; jetzt aber sind alle Gefahren vorbei; nun bist du mein!
    Da kam Peder wieder. Er hatte mehrere seiner Leute bei sich. Ich hatte mich neben Halef niedergesetzt und stand auf. Das wurde mir schwer, so schwer, daß ich mich mit den Händen stützen mußte. Einige von den Dschamikun nahmen den Hadschi auf und trugen ihn fort. Andere ergriffen die Zügel unserer Pferde, um sie zu führen. Der Scheik faßte meine Hand und sagte:
    „Der Ustad läßt euch bitten, bei ihm zu wohnen. Ich habe ihm einen Boten gesandt; er weiß, daß ihr kommt.“
    „Ist es weit?“ fragte ich.
    Fiel ihm nur diese meine Frage oder auch der matte Ton auf, in dem ich sie ausgesprochen hatte? Er erkundigte sich: „Bist du etwa auch krank?“
    „Ganz plötzlich müd, sehr müd!“
    „Hast du Flecken am Körper?“
    „Ja, auf der Brust.“
    „Allah jesellimak – Gott erhalte dich! In diesem Zustand habt ihr einen solchen Todessprung gewagt! Ganz unbegreiflich, ja eigentlich eine Menschenunmöglichkeit!“
    Ich versuchte, zu scherzen: „Du hast vorhin in mir das Abendland gesehen. Verzeihe mir, daß es so krank zu euch gekommen ist!“
    Da drückte er mir die Hand, an welcher er mich führte, fester und antwortete: „Ich kenne euer Leiden. Es geht so gern auf die gesunden Andern über. Doch tragt ihr es uns ja nicht heimlich zu und gebt die Schwäche nicht für Stärke aus. Wer uns nicht täuscht, der täuscht sich nicht in uns. Komm, lieber Mann, ich will dir Bruder sein!“
    Es war unter den Bäumen so dunkel, daß ich die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Der Peder

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