22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
vollständig freie Bahn machen und bitte dich noch einmal, ja nicht zu erschrecken oder dich umzusehen, wenn ich etwa schieße!“
Der ganze Vorgang spielte sich natürlich viel schneller ab, als ich ihn erzählen kann. Ich warf nochmals einen forschenden Blick auf Halef. Seine Haltung war fest und gut, und sein Gesicht hatte den Ausdruck eines solchen Selbstvertrauens, als ob an ein Mißlingen des Sprunges gar nicht zu denken sei. Nun warf ich mir zwei Gewehre über den Rücken, machte das dritte schußfertig, schwang mich in den Sattel und ließ Assil derart nach der Spalte kurbettieren, daß die wenigen Massaban, welche noch im Weg standen, zurückweichen mußten.
„Ileri – vorwärts!“ rief ich nun Halef zu.
„Bi aun illah – mit Gottes Hilfe! Jatib, jatib, ia Barkh – spring, spring, o Barkh!“
Indem er diese Worte ausrief, trieb er sein Pferd an, welches nun wohl wußte, um was es sich handelte. Es flog, nein es schoß in der Weise vorwärts, daß mein Ohr die einzelnen Hufschläge nicht voneinander unterscheiden konnte. Es gab in mir ein Gefühl, welches ich noch nie empfunden hatte und das mich wahrscheinlich auch jetzt nicht ergriffen hätte, wenn der Hadschi nicht so krank und matt gewesen wäre. Mein ganzes Wesen schien ein einziger, großer, lauter Hilferuf zu sein. – Da setzte Barkh hüben an – jede seiner Muskeln war federnde Energie – jetzt schwebte er über dem Abgrund – nun faßte er drüben Boden – mit allen vieren – schon war es mir, als müsse ich vor Freude jauchzen – da gab die jenseitige Kante unter seinen Hinterhufen nach – sie rutschten ab – – – Halef erkannte die fürchterliche Gefahr – – – er hieb mit der Peitsche hinter sich nach der Weiche des Hengstes – – – dieser wollte empor, brachte es aber nur zu einem vergeblichen Kratzen des nun von der trügerischen Humusschicht befreiten, glatten Felsenrandes – – – sie mußten, mußten, mußten abstürzen, beide, Reiter und Pferd, wenn nicht mein Schuß noch Rettung gab! – – – Ich drückte ab. Der Krach wurde mit verzehnfachter Stärke von den Felsen zurückgeworfen und schien von hundert Echos wiederholt zu werden – – – es war, als ob dieser gewaltige Knall die mechanische Kraft besitze, die Hinterhand des Pferdes emporzuheben – – – oder war es die bewundernswerte Geistesgegenwart Halefs? – – – Er zog die Beine empor, legte beide Hände auf die Schulter des Rappen und schleuderte sich seitwärts am Kopf desselben vorüber nach vorn, wodurch er glücklich den festen Boden erreichte – – – das dadurch entlastete und durch den Schuß zur Anspannung aller Nerven getriebene Tier gewann die felsige Kante, tat einige krampfhafte Sätze vorwärts und blieb dann, am ganzen Leib zitternd, zwischen den Bäumen stehen. Halef folgte ihm wankend – – – drehte sich um – – – erhob den Arm, um mir zu winken – – – brach dann aber in einer Weise zusammen, als ob ein Schlag ihn zu Boden geworfen habe. – Ich glaube nicht, daß ich jemals im Leben so tief, so unendlich tief und erleichtert aufgeatmet habe, wie in jenem Augenblick! Die Massaban hatten, wie vom Schreck gelähmt, vollständig still und unbeweglich gestanden; nun aber machten sie ihren Gefühlen durch ein Geschrei Luft, welches infolge des Echos gar nicht aus menschlichen Kehlen zu kommen schien. Sie sprangen hin und her, schlugen mit den Armen in die Luft und gebärdeten sich so, als ob sie toll geworden seien.
„Ruhe! Macht Platz!“ brüllte ich sie an, denn nur durch diese allerstärkste Art des Tons konnte ich mich ihnen hörbar machen.
„Bleib doch, bleib!“ schrie Nafar Ben Schuri. „Hast du denn nicht den sichersten, schauerlichsten Tod vor deinen Augen gesehen?!“
„Hast du denn nicht gesehen, daß dieser Tod gar nicht so sicher ist, wie du sagst?“ antwortete ich. „Gebt Raum! Nehmt euch in acht!“
Indem ich mein Pferd mitten unter sie hineintrieb, zwang ich die Horde, die Bahn wieder frei zu geben. Dann streichelte ich den schönen, warmen Hals des Rappen und bat ihn in ruhigem Tone: „Jatib, ia Assili, jatib – spring, o mein Assil, spring!“
Er wußte seinen Freund Barkh drüben, und er verstand diese meine Worte. Da bedurfte er gar keines Antriebes. Ich hörte, daß er die Brust voll Atem nahm, und hob mich in den Bügeln. Das gab ihm freie Spannung. Er tat die wenigen Sammelsprünge in wunderbarer und nervenruhiger Sicherheit,
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