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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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von einem feinen, sich bewegenden Gewand. Zwei warme, weiche Frauenhände ergriffen meine Hand, und eine innig sprechende Altstimme betete:
    „Herr, es treten,
Um zu beten
Zu dir Alle, die du liebst.
Laß den Glauben
Uns nicht rauben,
Daß du nichts als Leben gibst!“
    Meine Hand wurde lange festgehalten. Das merkte ich, obgleich ich den Sinn für Zeit und Raum kaum noch zu besitzen schien. Dann gab es eine Berührung, als ob zwei Lippen sich auf diese meine Hand legten. Ich wollte sie zurückziehen, ohne daß ich diese Bewegung ausführen konnte. Wer war er, der, vor mir kniend, um mein Leben gebetet hatte? Ich wünschte so dringend, dies zu erfahren, doch gelang es mir nicht, ein Wort der Frage auszusprechen. Aber ich fühlte, daß meine Augen sich öffneten; das war so eigenartig, so ganz, als ob es nicht meine leiblichen, sondern die seelischen seien. Da sah ich in ein liebes, ernstes, reines Frauengesicht. Es war von einer so frommen, edlen Schönheit, wie man Heilige abzubilden pflegt. Die Augen waren dunkel und trotzdem doch so hell, so licht, so klar. Es ging von ihnen eine Wärme aus, welche auf mich überfloß. Mir war, als ob ich dieses Antlitz schon einmal gesehen habe, nicht gleichgültig und vorübergehend, sondern sorgsam und mit derselben Herzenswärme, welche ich jetzt zurückempfand. Nun breitete sich ein frohes Lächeln über die so kinderholden und doch so frauenhaft sinnigen Züge, und die Lippen, welche vorhin meine Hand berührt hatten, fragten mich.
    „Erkennst du mich, Sihdi? Ich bin Schakara, welche du vom Tode errettet hast.“
    Ich wollte antworten, konnte aber nicht. Ich hörte nichts als ein unverständliches Flüstern, welches aus meinem Mund kam. Da fuhr sie fort: „Ich bin das Mädchen, welches damals in Amadijah die Oelüm kires (Todeskirsche) gegessen hatte. Deine Hand brachte mir das schon fast entflohene Leben zurück. Kannst du dich erinnern?“
    Ich bewegte meine Augenlider, um ihr anzudeuten, daß ich sie verstanden habe. Zu sprechen war mir nicht möglich. Da legte sie ihre Rechte auf meine Stirn und sagte: „Die Krankheit hat dir das Reden verboten. Aber sei getrost! Chodeh ist die Barmherzigkeit. Er wird uns nicht das schreckliche Leid antun, dich bei uns sterben zu lassen. Der Ustad hat für euch gebetet, und die Güte des Himmels wird ihn ganz gewiß erhören. Schau, da kommt er. Siehst du ihn?“
    Sie fragte mich so, weil mir jetzt die Augen zugefallen waren; ich konnte sie nicht wieder öffnen. Doch hörte ich Schritte, welche sich näherten.
    „Kam er noch nicht zu sich?“ wurde Schakara gefragt.
    Das war dieselbe tiefe, wohllautende Männerstimme, welche ich schon gehört hatte.
    „Er öffnete die Augen und sah mich an“, antwortete sie. „Sprechen konnte er nicht.“
    „Hat er dich erkannt?“
    „Ich glaube es.“
    „So liegt er nun wieder in der vorigen Bewußtlosigkeit. Ihn werden wir wohl retten. Von seinem Gefährten dort aber kann ich das leider nicht sagen. Er steht bereits sehr nahe dem Tod.“
    Da hörte ich Halefs Stimme laut und zornig erklingen: „Am Tod? Sein Gefährte? Also ich? Ihr glaubtet wohl, ich schlafe? Ich bin soeben aufgewacht und habe euch gehört. Ich stehe nicht am Tod! Nein, nein, nein! Ich bin Hadschi Halef Omar, der Haddedihn vom Stamm der Schammar. Mich kennt man überall; einen Tod aber gibt es nicht! Darum ist das, was ihr sagt, ganz unmöglich. Ich befinde mich nicht am Tod – – am Tod – – – nicht, nicht – – – am – – – Tod!“
    Ich hörte diese Worte meines Hadschi, wußte aber nicht, wo er lag. Es war, als ob irgend eine Frage nach ihm sich in mir emporringen wolle; sie trat aber weder in das Bewußtsein noch in den Willen, denn ich hatte die Empfindung, als ob ich jetzt emporgehoben und weit, weit fortgetragen werde, und wie in unendlicher Ferne hörte ich nun die Worte erklingen: „Am Tode – – – am Tode – – –!“ –
    Wie lange ich fern von mir gewesen war, oder, durch die gewöhnliche Redensart ausgedrückt, wie lange ich nun wieder ohne Bewußtsein dagelegen hatte, das weiß ich nicht. Hierauf schien es, als ob mir Harfenklänge nahten. Es war aber umgekehrt: ich kam zu ihnen; die Besinnung kehrte mir zurück. Es bedurfte jetzt keiner Anstrengung für mich, die Augen zu öffnen, doch fühlte ich eine mir unbekannte Schwere in den Lidern. Ich war außerordentlich matt. Als ich versuchte, den Kopf zu bewegen, dauerte es eine ganze Weile, bis es mir gelungen war, das

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