Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
hielt mich fest. Er kannte das Terrain genau und machte auf jede Eigentümlichkeit desselben aufmerksam. Dennoch wurde mir das Gehen schwerer, als die Umstände es eigentlich begründeten. Ich stolperte und schwankte oft. Da schlang er, um mich zu stützen, stets und schnell den Arm um mich. Am liebsten wäre ich in diesem starken, liebevoll besorgten Arm liegen geblieben, um mich von ihm weitertragen zu lassen!
    Wie lange wir so, oft auf-, oft abwärts gingen, weiß ich nicht. Das Gefühl für die Bestimmung der Zeit war mir vollständig abhanden gekommen. Dann war der Wald zu Ende. Die Sterne standen über uns, und unsere Füße schritten über ebenen Boden und auf weichem Gras. Wir hatten bei der Entfernung von der Felsenspalte den Schluß gemacht, waren also die letzten und beide allein. Von dem Hadschi und den Pferden sah ich nichts. Als ich nach ihnen fragte, bekam ich die Antwort: „Habe keine Sorge! Du wirst deinen Freund beim Ustad finden, eure Pferde auch und ebenso die Gewehre.“
    Die Gewehre! Da kam noch nachträglich der Schreck über mich. Ich hatte sie vergessen, vollständig vergessen, gar nicht an sie gedacht, als ich vom Peder fortgeführt worden war. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich sie, als ich nach dem Sprunge aus dem Sattel stieg, neben mich geworfen hatte. Diese im anderen Fall ganz unmögliche Vergeßlichkeit brachte mich zu der Überzeugung, daß die Krankheit auch bei mir viel weiter vorgeschritten sei, als ich gedacht hatte. Kaum hatte ich diesem Gedanken Raum gegeben, so begann er, mich zu beherrschen. Ich mußte stehenbleiben. Meine Beine zitterten, die Füße versagten mir den Dienst.
    „Was ist mit dir?“ fragte der Peder, „fällt dir das Gehen schwer?“
     „Nicht schwer, nicht leicht; es gibt eben kein Gehen mehr. Erlaube, daß ich mich für einen Augenblick setze!“
    Er umfaßte mich, um mich langsam niederzulassen. Ja, sitzen! Das war nicht möglich; ich mußte sofort liegen; es fehlte mir die Kraft, den Oberkörper aufrecht zu halten. Da sanken auch die Lider herab und waren nicht wieder in die Höhe zu bringen. Was nun mit mir geschah, das weiß ich nicht. Ich war wie ganz im festen Schlaf, zuweilen auch wie nur im Traum. Ich hörte zuweilen die gütige, besorgte Stimme des Peder. Er sprach zu mir; er sprach auch zu Andern, doch klang es wie aus weiter, weiter Ferne. Ich fühlte mich gehoben und getragen. Ich war so leicht; ich hatte keinen Körper. Ich bestand aus nichts als nur aus froher Zuversicht und glücklichem Vertrauen, und diese gänzliche Hingebung lag wie auf Engelsflügeln ausgebreitet. Dann war es mir, als schwebe ich durch tausend, tausend selige Ewigkeiten, unendlich lang und doch so kurz, so kurz! Was für Töne erklangen da? Waren das die Harfen verklärter Geister? Oder war es der Psalter des alttestamentlichen Sängers, der da spricht: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt!“
    Und da legte sich eine Hand auf meine Stirn. Es war, als ob von ihr aus eine gütig reine, immaterielle Kraft durch mein ganzes Wesen gehe. Und eine tiefe, wohllautende Stimme sprach die letzten Worte ganz desselben Psalms: „Der Herr behüte deinen Eingang und deinen Ausgang von nun an bis in Ewigkeit. Amen!“
    Die Stimme schwieg. Leise Schritte entfernten sich. Tiefe, fromme Stille herrschte in mir und auch rund umher. Aber ich hatte die Empfindung, daß ich nicht allein und verlassen sei. Es umwehten mich ein feiner, gottesdienstlicher Duft, wie von Weihrauch und Myrrhen. Da erklangen hoch über mir zwei Glöcklein. Sonderbar, daß ihr schönes Harmonieverhältnis mir sofort in die Ohren trat! Die eine, tiefe, war in die untere Dursexte der oberen gestimmt. Es war gewiß ganz eigentümlich, daß mir trotz meines Zustands die Frage kam, warum in diesem Grundakkord doch die Quinte fehle! Nun wieder tiefe Stille. Dann hörte ich in kurdischer Sprache ein vierstimmiges, feierliches Lied erklingen, dessen erste Strophe deutsch zu lauten hätte:
    „Herr, ich trete
Im Gebete
Vor dein heilig Angesicht.
Laß dir sagen
Meine Klagen;
Höre, was mein Flehen spricht!“
    Es waren nicht Orgel-, sondern Harfentöne, welche dieses Lied begleiteten. Gab es hier eine Kirche? War ich überhaupt auf der Erde? Träumte oder wachte ich? Ich hatte keine Macht über meine Augen. Besaß ich überhaupt jetzt welche? War ich jetzt vielleicht nur Geist, nur Seele? Wo war mein Körper geblieben? Ich fühlte ihn nicht? Da gab es neben mir ein leises, leises Rauschen wie

Weitere Kostenlose Bücher