22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
sage?“
„Ja“, antwortete ich.
„Du befindest dich im hohen Hause des Ustad. Er wünscht, daß ich euch pflege. Erlaubst du es mir?“
„Ja.“
„Hast du einen Befehl für mich?“
„Nein, nie!“
„Warum nicht?“
„Für dich nur Bitte, nie Befehl.“
Da ergriff sie meine Hand, sah mir mit einem langen, frohen Blick ins Augenlicht und sagte dann: „Du bist noch ganz so voller Güte, wie du damals warst. Sag, Effendi, welcher Wohlgeruch ist dir der liebste?“
„Benefsesch (Veilchen).“
Da küßte sie mir die Hand, stand auf und eilte aus der Stube. Warum hatte sie mich nach meinem Lieblingsduft gefragt? Der Grund sollte mir leider nur zu bald zur Erkenntnis kommen. Er war mir nicht fremd, aber meine Gedanken waren jetzt zu schwach, ihn augenblicklich zu erraten. Da drüben bei Halef hatte man eine Menge in Erdkästen gepflanzte Rosen aufgestellt; bei mir hier gab es keine Blumen, doch fragte ich mich nicht, woher das kommen möge.
Mich fror ganz plötzlich, durch und durch und so intensiv, als ob ich ganz in Schnee und Eis begraben sei. Es war ein von starkem Fieber begleiteter Schüttelfrost, der mich an die Petechien erinnerte, welche ich unterwegs auf meiner Brust bemerkt hatte. Ich sah nach, die Flecken hatten sich jetzt über den ganzen Oberleib verbreitet; auch auf den Armen bemerkte ich sie. Diese Entdeckung ließ mir den Kopf heiß erglühen, während der Körper vor Kälte bebte.
Da sah ich den Peder hereintreten und leisen Schrittes zunächst hin zu Halef gehen. Er trug natürlich die Fakirlumpen nicht mehr, sondern war ganz weiß in weite, kurdische Hosen und ein bis auf die Knie reichendes Obergewand gekleidet, welches an der Taille von einer blauen Schärpe zusammengehalten wurde. Da steckten anstatt der Messer und Pistolen einige schön erblühte, purpurglühende Schirasrosen. Sein langes, seidengrau glänzendes Haar war von vorn nach hinten zurückgekämmt und hing bis über die Schultern herab. Sein heut vom gestrigen Schmutz freies, Ehrfurcht erweckendes Angesicht wurde von jenem Hauch innerer Jugend verschönt, welche aus der Seele auf den Körper überstrahlt und selbst im höchsten Lebensalter nicht vergeht. Man sah ihm an, daß er mit vollem Recht Peder genannt wurde, ein Vater, der den Seinen nichts als Liebe gibt, Liebe mit verständiger Einsicht gepaart, und von ihnen dafür wieder Liebe erntet.
Er betrachtete Halef aufmerksam, kniete dann bei ihm nieder und sprach zu ihm, ohne aber eine Antwort zu erhalten. Hierauf strich er ihm wiederholt über das Gesicht und ergriff seine Hände, um sie zu bewegen. Auch das war ohne Erfolg; der kleine, liebe Hadschi gab kein Zeichen, daß er lebe. Da kam der Peder zu mir. Er sah, daß ich die Augen offen hatte, ließ sich bei mir nieder und fragte: „Siehst du mich, Sihdi?“
„Ja“, antwortete ich.
Nun richtete er seine großen, klaren Augen auf die meinigen. Es war, als ob er mit diesem seinem langen Blick in die Tiefen meines Innern hinabsteige, um es zu erforschen. Dann fuhr er fort: „Schmerzt es deinen Kopf, wenn ich zu dir spreche?“
„Wenig, aber doch.“
„So wollen wir nur das sagen, was unbedingt nötig ist. Ich kenne diese Krankheit und weiß, daß du nicht an ihr sterben wirst, es trete denn eine unvorhergesehene Ursache zur Verschlimmerung ein. Ihr habt in der verflossenen Nacht unser Heilmittel wiederholt getrunken, wovon du aber nichts weißt, weil ihr beide ohne Bewußtsein wart. Es wird gewiß seine Wirkung tun.“
„Auch bei meinem Halef?“
Er zögerte mit der Antwort. Da bat ich ihn: „Sag die Wahrheit! Ich bin ein Mann und muß, muß, muß sie wissen!“
Er neigte zustimmend den Kopf und sprach: „Ja! Von einem anderen würde ich denken, daß ich ihn schonen müsse; dir aber bin ich die Wahrheit schuldig. Du wirst in einen langen, tiefen, schweren Schlaf verfallen, und wenn du aus ihm erwachst, wird das, was an deinem Freund unsterblich ist, von ihm geschieden sein. Das ist es, was menschliches Ermessen zu dir aus meinem Munde sagt. Er wird vielleicht noch einigemal für kurze Augenblicke zu sich kommen, dann aber einschlummern und erst im Verscheiden wieder erwachen. So denke ich. Aber ich hoffe, daß Chodeh, welcher die allmächtige Liebe ist, es anders und viel besser weiß. Nun sag auch mir die Wahrheit! Bist du erschrocken?“
„Nein. Ich danke dir! Deine Aufrichtigkeit hat mich geehrt. Sie beweist mir, daß du mich nicht für einen Schwächling hälst. Halef darf nicht sterben.
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