22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Chodeh wird helfen.“
„Ja, wenn wir glauben, wird er uns wohl den Melek esch Schefa (Engel der Genesung) senden!“
„Ich bin überzeugt davon. Aber wir dürfen uns nicht untätig auf diesen Engel verlassen, sondern müssen seiner Hilfe entgegenkommen. Laßt mich nachdenken!“
Ich war doch schwächer, als ich gedacht hatte. Nicht nur das Sprechen, sondern auch das aufmerksame Zuhören, um zu verstehen, griff mich an. Ich schloß die Augen, um nachzudenken; aber es kamen mir keine Gedanken. Ich fieberte, und dieses Fieber brachte mir allerlei verworrene, unklare Bilder vor das innere Angesicht. Es war, als ob sich ein nur halb durchsichtiger, sich unausgesetzt bewegender Vorhang vor mir befinde, hinter welchem sich Ereignisse abspielten, die ich nicht deutlich zu erkennen vermochte. Da geschah etwas ganz Sonderbares: der Vorhang stand plötzlich still; er teilte sich nach rechts und links, und ich sah eine liebe, liebe Gestalt vor mir erscheinen. Ihr Anblick wurde mir nur für einen ganz kurzen Moment gewährt, aber das Bild hatte so scharfe Umrisse und so lebendige Züge und Farben, daß ein Irrtum darüber, wer es sei, ganz ausgeschlossen war. Es kam ein Reiter, erst in der Ferne klein, doch immer größer werdend, in schlankem Galopp auf mich zugeritten; gerade vor mir parierte er sein Pferd, senkte die Hand zum Gruß und war dann verschwunden. Der Vorhang schloß sich und begann sich wieder zu bewegen wir vorher. Wer war es gewesen? Unser Kara Ben Halef, meines kranken Freundes Sohn. Sogar das Pferd hatte ich erkannt. Es war der dunkelbraune, noch nicht vier Jahre alte ‚Ghalib‘ (‚Sieger‘, ‚Überwinder‘), den die Haddedihn als Leihgebühr für die Pferdezucht des Stammes der Abu-Hammed-Beduinen gewonnen hatten. Dieser Braune berechtigte zu den schönsten Hoffnungen und war unsern beiden Schwarzen ebenbürtig. Ich überlegte nicht lange, sondern fragte, die Augen wieder öffnend, den Peder: „Willst du den Hadschi retten? Du kannst es!“
„Wie gern!“ versicherte er.
„Habt ihr einige sehr schnelle, ausdauernde Pferde?“
„Ja.“
„Und jemand, der die Gegend am Tigris jenseits von Qalat el Aschig, gegenüber von Samara, kennt?“
„Ich habe einen sehr zuverlässigen Mann, der ein guter Reiter und schon einige Male am Dschebel Sindschar gewesen ist. Er kennt die Gegend, von welcher du sprichst.“
„Sende ihn, und gib ihm einige Begleiter mit. Im Westen von Qalat el Aschig wird er auf die Haddedihn treffen. Er soll um keinen Preis verraten, daß Halef krank ist; aber er soll unbedingt den Sohn des Hadschi bringen, welcher Kara Ben Halef heißt und den Ritt hierher auf dem dunkelbraunen Pferde ‚Ghalib‘ zu machen hat! Das Denken und das Sprechen fällt mir schwer. Gib die Befehle so, wie du sie für nötig hälst!“
Da erhob er sich, faßte meine Hand und sprach: „Ich verstehe dich, Effendi. Wenn Halef erwacht, um zu sterben, soll er seinen Sohn vor sich sehen. Dadurch wird seine Seele vielleicht festgehalten werden. In nicht mehr als einer Stunde werden drei vertrauensvolle Männer unser Duar (Lager, Dorf) verlassen, um deinen Wunsch so schnell wie möglich auszuführen!“
Hierauf entfernte er sich. Ich aber fühlte mich in hohem Grade ermattet und versank in einen lethargischen Zustand, der aber nicht Bewußtlosigkeit und auch nicht Schlaf zu nennen war, denn meine inneren und äußeren Sinne blieben in, wenn auch nur geringer, Tätigkeit. Ich hörte das leise Rauschen von Schakaras Gewand wieder, und ich bemerkte, daß ein süßer Veilchenduft in meine Atmosphäre trat. Und dann – obgleich hierauf oder später, das weiß ich nicht – war es mir, als ob ich im Gelobten Land sei, und zwar in El Chalil (Hebron). Ich ritt auf dem alten Pflasterweg nach dem Haine Mamre hinaus und ließ mir im russischen Hospiz dort den Schlüssel zum Aussichtsturm geben. Ich sah die unterhalb desselben stehende ‚Eiche Abrahams‘ so deutlich, wie sie in Wirklichkeit absterbend dort zu sehen ist, und ritt dann zwischen Weinbergmauern weiter, die Jerusalemstraße hinaus und rechts hinüber nach dem Brunnen Abrahams. Er liegt in der unteren, rechten Ecke des Mauerfeldes, und die strenggläubigen Bewohner von El Chalil sehen es nicht gern, wenn ein Christ von seinem Wasser trinkt. Ich schöpfte aber doch und trank und trank. Hierauf sammelte ich, wie ich schon früher getan, den Samen der dort massenhaft wachsenden Kompositenblumen, um ihn daheim in meinem Garten anzusäen. Da erklang eine
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